Unterwegs auf dem ÄtnaExkursion in 3.350 Metern Höhe |
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Eigentlich wollte ich ja gar nichts über den Urlaub 2018 schreiben. Was soll man denn auch seinen Lesern erzählen - ich bilde mir oftmals ein, wenn ich nur erwähne, dass es wieder nach Sizilien geht, gerate ich inzwischen automatisch in die Langweiler-Kategorie. Ehrlich gesagt dürfte es meinetwegen sogar die Spießer-Kategorie sein - das würde mich nicht wirklich stören.
Natürlich ist mir bewusst, dass ich seit nunmehr neunundzwanzig Jahren (nicht durchgängig aber dennoch verlässlich) immer wieder nach Menfi/Sizilien fahre. Na und? Meine Liebe zu diesem Ort, zu den Menschen dort, hat gute Gründe. Ich muss mich dazu weder rechtfertigen noch erklären. Vielleicht reicht es ja als gedankliche Basis, dass Olivia und ich sogar schon mit der Möglichkeit gespielt haben, vielleicht auf Sizilien unseren Lebensabend zu verbringen. Und wenn nicht den, dann vielleicht immer die schönste Zeit des Jahres. Wer weiß. |
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Dennoch: grundsätzliche Gedanken zu den Rahmenbedingungen unserer Sizilien-Urlaube sind, dass wir altersentsprechend inzwischen die eher ruhigere Gangart bevorzugen. Wir vermeiden aktiv große Ansammlungen von Touristen, mögen es sehr, unsere freien Tage selbst zu gestalten und zu bestimmen und halten uns ganz bewusst weit entfernt von kollektivem Brüllsaufen und Druckbetankung. Wir pflegen den engen Kontakt zu unseren sizilianischen Freunden ("la Famiglia"), essen und trinken wie sie, hören ihre Ängste und Sorgen und freuen und lachen mit ihnen. Oftmals zusammen mit ihnen haben wir die gesamte Insel kennengelernt. Der Archäologische Park von Selinunte, Sciacca, das Tal der Tempel in Agrigento, das Griechische Theater, das Orrechio di Dionisio und die Fonte Aretusa in Syrakus, Catania, Giardini Naxos, Taormina, Messina, Milazzo, Cefalu, Bagheria, Palermo mit Monreale und Monte Pellegrino, Castellamare del Golfo, San Vito Lo Capo, Segesta, Erice, Trapani, Marsala, Mazara del Vallo, Castelvetrano, die vom Erdbeben zerstörten Städte Montevago und Santa Magherita di Belice, Corleone... jeden dieser Orte habe ich mindestens ein Mal besucht und verknüpfe eigene Erinnerungen mit ihnen. |
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Ein für mich ganz wichtiger Ort fehlt jedoch in meiner Aufzählung - Europas höchster und aktiver Vulkan, der Ätna - umgangssprachlich "Mongibello", abgeleitet aus lat. „mons“ (italienisch „monte“) und arabisch „djebel“ (جبل), was beides einfach „Berg“ bedeutet. Seit meinem ersten Besuch 1997 auf dem großen Touristen-Parkplatz Refugio Sapienza vor dem Krater Silvestri in knapp 2.000m Höhe fasziniert mich einerseits der (je nach wetterbedingter Sichtweite) phantastische Ausblick auf das Meer, auf Catania und auf weitere Städte landeinwärts wie Caltagirone oder Caltanisetta. Andererseits ist allein dieses Gefühl, so mit einem gigantischen Vulkan im Rücken auf die Welt herabzublicken, etwas ganz besonderes. Dort oben ist es bei meinen Besuchen immer fast totenstill. Nur ein ordentlicher Wind pfeift eventuell über die Vulkanschlacke. Ein einziges Mal war der Ätna in meiner Gegenwart aktiv und gab hin und wieder mal ein tiefes Grummeln von sich, ganz oben am Gipfel stieg damals schwarzer Rauch auf. Und nur dieses einzige Mal habe ich (fast durch Zufall bei der Abreise im Dunkeln) glühende Lava sprühen und fliegen gesehen. |
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Irgendwann reichte es mir nicht mehr, mit dem Auto nur bis zu diesem Parkplatz zu fahren, wohlwissend, dass ich noch lange nicht ganz oben bin. Irgendwann wuchs der Wunsch, ganz "da oben hin" zu kommen. Ich wollte hoch AUF den Ätna! Deshalb bereitete ich endlich für den Urlaub 2018 dieses Event schon im Februar vor. Dem Internet sei Dank erhielt ich Informationen zum Veranstalter einer Ätna-Exkursion: Wir beginnen am "Rifugio Sapienza" bei 1.932m (ETNA SÜD), fahren mit der Seilbahn bis auf 2.504m Höhe und von dort bis auf 2.900m mit einem 4x4-Bus. Wir wandern weiter bis zum Gipfelkrater auf ca. 3.340m. In der Nähe der Krater machen wir eine lange Pause und beginnen dann mit dem Abstieg in Richtung eines Kraters, der 2002 entstanden ist. Von dort geht es weiter in Richtung Seilbahn mit der wir dann wieder nach "Rifugio Sapienza" hinunter fahren.
Schwierigkeit: mittel-hoch
Beim Schwierigkeitsgrad und der Dauer der Veranstaltung stieg Olivia aus. Die Arthrose in ihren Kniegelenken würde sie solche Belastungen nicht überstehen lassen. So sollte ich also die Ätna-Erklimmung im Alleingang erleben, während Olivia die Sicherung unseres REDSTARs auf dem Parkplatz des Rifugio Sapienzas übernehmen wollte. |
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Am Abend vor dem Ausflug kletterte also unser Bulli von Zafferana Etnea aus die steilen Straßen zum Ätna empor. Dieses Mal fuhr ich jedoch äußerst vorsichtig, den Motor möglichst wenig hochdrehend... was bei Steigungen, die zeitweise nur im ersten Gang zu bewältigen sind, eigentlich fast unmöglich ist. Unser diesjähriges technisches Problem hatten wir glücklicherweise schon zum Beginn des Urlaubs erkannt - der "neue" Turbodiesel-Motor "soff" nämlich Öl. Ich errechnete einen Verbrauch von etwa 2 Litern auf 300 Kilometern. Nach telefonischer Rücksprache mit unserem Bulli-Spezialisten Jürgen, sollten wir eine Chance auf schadloses Überstehen der sich anbahnenden Katastrophe haben, wenn wir nun dickflüssigeres Motoröl verwenden. Wenn auch unter diversen Problemen, konnten wir dann 20 W 50-Öl erwerben - was den Öldurst unseres Motors (Jürgen vermutete, dass wohl der verbaute Secondhand-Turbo für das Desaster verantwortlich ist) tatsächlich verringerte. Jürgen betonte ausdrücklich, wir sollten uns den Urlaub wegen des Öl-saufenden Turbos nicht vermiesen lassen - weshalb ich dann auch die Ätna-Tour doch nicht ganz aus der To-Do-Liste des Urlaubs strich... aber irgendwie mutig war das schon, oder? Am Ende schaffte der Turbo die Reise quer durch Sizilien zum Ätna und zurück - gut 500 Kilometer - ohne weitere Probleme. Und ich denke, auch die Heimreise von etwa 1.500 Kilometern wird er dank unseres 20 W 50-Öl-Vorrats von jetzt noch neun Litern wohl überstehen... und zuhause wird sich Jürgen dann mit dem morbiden Turbo beschäftigen müssen. Aber das ist alles Schnee von morgen...
Wir kamen also gut am Parkplatz "Rifugio Sapienza" an, sichteten schon mal die Örtlichkeiten - damit wir morgens nicht zu lange suchen müssen. Hinterher fuhren wir wieder ein Stückchen die Straße hinab und verschwanden zur Nachtruhe in einem Kiefernwäldchen.
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Am Morgen sollte es um 9:00 Uhr an der Seilbahnstation los gehen. Eine Stunde vorher rangierte ich uns aus dem Kiefernwäldchen und parkte wenig später vor dem Hotel "Refugio Sapienza" neben der Seilbahn ein. Hier bereitete ich mich klamottenmäßig auf die Exkursion vor. Unter der Jeans eine lange Jogginghose, meine alten Bundeswehrstiefel, eine Strickjacke im Rucksack und meine warme Fleece-Jacke gleich für obendrüber. Weil ich meinen Sonnenschutz für den Kopf zuhause vergaß, hatte ich mir in Menfi ein Baseball-Cap besorgt. Im Rucksack war am Tag zuvor schon sämtliches Equipment zur Aufnahme von Foto- und Videomaterial verstaut worden. Olivia steuerte Fressalien und Getränke bei. Fertig! “SUMMIT CRATERS FROM ETNA SOUTH” |
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Früh genug schlendere ich also zur Seilbahnstation, zeige an der Kasse meine Exkursions-Teilnahmebestätigung als Bild auf dem Smartphone und werde gebeten vor der Station zu warten.
Punktgenau um 9:00 Uhr erscheint Francesco, unser Exkursionsleiter (um nicht die unsäglichen Worte "unser Führer" zu benutzen!). Außerdem entpuppen sich etwa zehn herumstehende Leute ebenfalls als Teilnehmer dieser Exkursion. Es folgt die Ausgabe des EINSCHREIBUNGSFORMULARS FÜR DIE ZENTRALKRATERTOUR, in dem ich durch meine Unterschrift erkläre, dass ich in guter gesundheitlicher Verfassung bei passender Kondition für solch eine Tour geeignet bin, mich bei der Tour benehmen werde, alle Sicherheitshinweise beachte, den Anweisungen des Führers unbedingt Folge leiste (Mist, jetzt hab ich's DOCH geschrieben), ich das berg- und vulkanologische Fachpersonal jedoch von jeglicher Verantwortung im zivil- und strafrechtlichen Bereich entbinde und dass ich mit Fotos meiner Person auf Publikationen des Veranstalters einverstanden bin. Jeder bekommt einen blauen Helm - meiner hat die Größe "L" (statt XXL), wenn ich ihn mit dem Riemen unterm Kinn verschließe, bleibt mir die Luft weg und ich sehe Sterne - eine andere Größe gibt's aber leider nicht. Ich drücke Führer Francesco meine 90,- EURO Teilnehmerbeitrag in die Hand und bin damit der erste zahlende Teilnehmer auf seiner Liste. Francesco spricht im übrigen natürlich italienisch, französisch, englisch und "un poko deutsh"... minimal deutsch. Egal - wenn Italiener andere Sprachen sprechen, können sie sowieso NIE verleugnen, dass sie Italiener sind. Immer wird hinten irgendwo "eine 'e' drangehängte", und das geht wirklich in jeder Sprache. |
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Irgendwann schwingen alle Wandervögel ihre Rucksäcke auf's Kreuz und die Gruppe entert die Seilbahn "FUNIVIA DELL'ETNA". Immer sechs Personen passen in eine Kabine, deren Fensterscheiben kupferfarben getönt sind. Die Türen haben Fensterchen mit Gittern - so sieht so ein Ding ein bisschen aus wie ein Transportkäfig für Hühner... na gut, sagen wir wie ein Gefangenentransporter. Etwa eine viertel Stunde später steigt man oben an der Bergstation "La Montagnola" aus. Diese Bergstation mag der Ätna wohl irgendwie nicht - in der Vergangenheit hat er immer wieder erfolgreich versucht, das Gebäude mit Lava zu bespucken. Dabei ist die Bergstation 2001 und 2002 komplett zerstört worden. Nach dem Ausstieg aus dem Transportkäfig muss man erstmal quer durch ein Lokal... tonnenweise Panini, sizilianische Canollo, Wurstel, Cola, Fanta, Red Bull und was weiß ich nicht noch alles, wird dem Besucher hier angeboten. Ich haste vorbei... Hallo? Ich komm' doch nicht hier rauf zum Speisen? Ich will zum Ätna! Und meine Verpflegung hab ich im Rucksack... und wahrscheinlich auch noch um Einiges günstiger als der "La Montagnola"-Touri-Krempel hier. Also: Tür auf und raus! Draußen weht schon ein merklich kühlerer Wind... und die hochbeinigen Unimog-Busse warten bereits - die bringen mich dem Ziel ein ganzes Stück näher, nämlich auf 2.920m ü.N.N. |
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Dieser Ort nennt sich Torre del Filosofo. Welcher Knaller hat diesem verlassenen Fleckchen Erde zwischen Himmel und Hölle eigentlich einen solchen Namen gegeben? Philosophenturm... ich kann mir lediglich erklären, dass man als Exkursionsteilnehmer an dieser Stelle nochmal inne halten und sich genauestens überlegen sollte, ob man dem eingeschlagenen Pfad folgt, oder ob man lieber wieder mit dem Bus zurück fährt. Ich entscheide mich natürlich für weiter, voran... hätte ich meiner gerade aufgeflackerten Eingebung vielleicht doch etwas mehr Beachtung schenken sollen? Hab ich aber nicht. Hab mich in einer Art Gruppenzwang einfach mitziehen lassen. Und das, obwohl ich doch den menschlichen Herdentrieb abgrundtief hasse. Asche auf mein Haupt... äh... Vulkanschlacke! |
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Führer Francesco erklärt uns noch eben, dass nicht der nahe Vulkan da vor uns das Ziel ist, sondern uns der Hauptkrater dahinter erwartet und dass wir jetzt erstmal quer durch das breite Lavafeld müssen. Ein gekennzeichneter Weg? Fehlanzeige! Den Weg kennt nur der Wind - und Francesco. In diesem Moment wird mir klar, warum ich meine Bundeswehrstiefel anhabe. Kurz bevor wir in das Lavafeld abbiegen, kommt mir auf dem "Spazierweg" für die normalen Touristen ein älterer Herr mit Sandaletten entgegen geschlendert. Ja neee - is klar! Wie wichtig hier oben das richtige Schuhwerk ist, wird in den folgenden fünf Stunden überkrass deutlich. |
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Der "Weg" geht einfach quer durch das Lavafeld. Für wirklich j-e-d-e-n einzelnen Schritt muss man sich einen geeigneten Platz zum Aufsetzen des Fußes suchen. "Hans-guck-in-die-Luft" wird hier garantiert augenblicklich stumpf der Länge nach auf die Fresse fliegen... und das wird dann voraussichtlich verdammt blutig, denn die Lavasteine sind extrem fies scharfkantig. Selbst ein kurzes Straucheln oder Stolpern könnte fatal enden - man muss blitzschnell wissen, wohin man den nächsten Fuß setzt. Das Gehen ist wie die Fortbewegung auf einer Teststrecke für die gesamte Beinmuskulatur und alle zum Gehen benötigten Gelenke. Und nicht etwa nur für fünf Minuten - nein, stundenlang geht das so - und stellenweise steil nach oben oder unten. Du hast Arthrose oder Rheuma oder eine andere schmerzhafte Knochenkrankheit? Vergiss es - bestell dir schon beim Einsteigen in die Seilbahn einen Rettungshubschrauber, du wirst ihn dringend benötigen.
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Doch die bei dieser außergewöhnlichen Fortbewegung respekteinflößende Zusammenarbeit zwischen menschlichem Gehirn, Augen, Muskeln und Skelett trägt schließlich Früchte. Schritt für Schritt kommt man langsam voran und steht plötzlich vor einem breiten Schneefeld. Allerdings ist es nicht mehr überall rein weiß. An einigen Stellen ist der Schnee mit schwarzem Vulkanstaub dekoriert. Und wenn man genauer hinsieht, besteht das Schneefeld aus einer gigantischen Menge gestoßenen Eises oder sogar Millionen von Eiswürfeln. Beim Durchschreiten dieser Schneefelder sinkt man ein wenig ein, aber es läßt sich hier bequemer gehen, als durch das Geröll. Stetig geht es berauf, dieses Mal folgt eine Schotterstrecke. Man geht wie auf Seramis - kennt ihr dieses Tongranulat für Zimmerpflanzen? Die Kügelchen sind kaum größer als Erbsen. Milliarden dieser Kügelchen liegen hier am Ätna. Ich muss, glaube ich, nicht erklären, wie "klasse" man darauf wandern kann. Noch dazu, wenn die Fläche, auf der man seinen Schuh aufsetzen kann, kaum breiter als ein Bügelbrett ist. Und das Ganze quer zur Steigung bzw. zum Gefälle. Also ein Schritt neben das Bügelbrett und es geht auf Seramis den Hang hinunter... mehrere 100 Meter. Schluss mit der wilden Schussfahrt könnte erst dann sein, wenn man sich ganz lang und breit macht - Arme und Beine weitab vom Körper... ich hab grad Kopfkino! Solch eine Haltung sähe bestimmt lustig aus. Aber immer schön Haltung bewahren beim Bergabrutschen. |
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An solchen Hirngespinnsten bastelt mein Gehirn, während ich mich Schritt für Schritt den steilen Seramis-Pfad am Ätna hochkämpfe. Dabei bemerke ich irgendwann, dass ich ziemlich schwer am Luftschnappen bin. Ein deutscher Mitkämpfer am Hang hat auf seinem Smartphone eine App, die ihm auch die Höhe verrät - was Handys so alles können!?!- er verkündet, dass wir grade 3.150m erklommen haben. Auch er kämpft eigenen Angaben zufolge mit der "dünnen Luft". Ich muss jetzt immer häufiger stehen bleiben - die Gruppe tobt an mir vorbei. Ich bin das Letzte, nein - der Letzte! Ey - ihr habt wohl überhaupt keinen Respekt vor so einem Autosessel-pupsenden Fahrlehrer aus Norddeutschland, was? Fünf Schritte, kurze Pause, fünf Schritte, kurze Pause, fünf Schritte... ach Moment mal! Ich hab schon einen ganz ausgetrockneten Mund. Da wäre doch mal was zu Trinken eine gute Idee, oder? Warum schleppe ich denn das ganze Gedöns eigentlich hier in meinem Rucksack herum. Abgesetzt das Ding, aufgemacht und... ah! Sieh an! - da ist ja die Plastikflasche mit dem Birnensaft. Aufgeschraubt und... SCHÜLP! Mir rinnt das wertvolle Nass über Mund und Nase, tropft tiefer auf meine Jacke und die gute digitale NIKON-Spiegelreflexkamera. Blöd, dass mir das Zeugs auch IN die Nase gelaufen ist, ich habe mich dadurch luftringend verschluckt und gluckere und pruste mit dicken Augen am Ätna-Hang stehend vor mich hin. Der hinter mir stehende Bergführer guckt mich besorgt an und frag auf Englisch, ob es mir gut geht. "Is everthing okay?" Ich strecke ihm nickend meine Unglücksflasche wie zu einem "Prost"... äh... "Salute" entgegen, er lacht und prustet "Ah - Zucchero!" Ich nicke, packe meine versiffte Flasche wieder ein - und weiter geht's. Diesmal zehn Schritte, kurze Pause, zehn Schritte, kurze Pause... aber dieses Mordstempo hält nicht lange. Ich frage meinen Verfolger, wie weit es denn noch ist. "Fifty meters", beruhigt er mich. Sieben Schritte, kurze Pause, sieben Schritte, kurze Pause, sechs Schritte... "That are long fifty meters", presse ich in meiner Atemnot heraus. Meine Lunge fliegt, das Herz rast... mein Gott, hab ich Respekt vor Reinhold Messmer - und der war auf dem Mont Everest fast drei Mal höher als ich hier auf dem kleinen Ätna. Von hinten kommt "... only fifteen meters till the finish!" Hä? In fünfzehn Metern soll ich am Ziel sein? Ich seh' nur knallblauen Himmel und von schräg rechts oben nach schräg links unten den Seramisberg mit eben diesem tierischen Gefälle. Da vorn oben soll der Krater vom höchsten Vulkan Europas sein? Die führerische Schlußlaterne ist inzwischen an mir vorbeigestürmt, steht oben vor mir, reckt den Arm gegen die Steigung und ruft "You made it, you are there! Welcome!" Spaßvogel, denke ich auf den letzten Zentimetern - denn meine Geschwindigkeit lässt sich nicht mehr in Metern messen. Ich drehe mich schweißgebadet und nach Luft schnappend nach rechts und... sehe endlich Rauchschwaden. Tatsächlich! Geschafft! |
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Zunächst mal kann ich den vulkanologischen Erklärbären da oben gar nicht weiter folgen. Auf wackeligen Beinen stakel ich auf dem Krater herum und muss aufpassen, dass ich nicht in die räuchernde Hölle kippe. Mein eigens für diesen Augenblick unter größten Mühen mitgeschleppter Selfie-Stick versagt seinen Dienst und löst nicht aus... wahrscheinlich kommt auch er mit der "dünnen Luft" nicht zurecht. Na gut, ich hab ja einen langen Arm. Irgendjemand fragt Francesco, ob man da unten - gemeint ist wohl der kochende Schlund - nicht hinkommt. In Francesco's Wortfetzen, an denen der kräftige Wind zerrt, vernehme ich etwas von "... not allowed..." und "... very dangerous...". Wer stellt hier eigentlich so blöde Fragen? Ich frage ihn hingegen, ob's hier nirgendwo Lava zu sehen gibt. Er antwortet, dass der Lava-Fluß momentan nicht aktiv ist. "Na", denke ich "- ham 'se wohl die Pumpe ausgestellt. Für die paar Besucher lohnt sich das wohl nicht." Nein, im Ernst - ich möchte, glaube ich, nicht hier oben auf dem Kraterrand stehen, wenn da unten Lava kocht und blubbert und hochspritzt oder meterhoch durch die "dünne Luft" fliegt. Dieses Erlebnis ist imposant genug. Durch - wenn auch erkaltete und daher verfestigte - Lava bin ich heute schon reichlich gewandert... äh... geschlichen. |
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Inzwischen hab ich mich gut an die "dünne Luft" gewöhnt und taumel auch nicht mehr ganz so auf dem Vulkan herum (daher wohl der Begriff "Tanz auf dem Vulkan"). Lediglich die kräftigen Windstöße könnten mich hier nun vom Präsentierteller pusten - endlich mal was, womit ich jedoch als Norddeutscher umzugehen verstehe. Ich schlendere auf dem Krater in östlicher Richtung, also rechts herum, gegen den Uhrzeigersinn. Den Kraterrand überdeckt eine gelbe Schicht. Als ich mich herunterbücke um den Boden zu berühren, füllt sich durch meinen letztgetanen Atemzug (den letzten hab ich hoffentlich noch in weiter Zukunft vor mir) meine Lunge mit eben dem Rauch, der gerade aus dem Ätna vom Wind herausgetrieben wird. Auf der Stelle verspüre ich ein heftiges Stechen in der ohnehin heute schon durch die "dünne Luft" schwer gebeutelte Lunge. Der Atem stockt augenblicklich - oder war es vielleicht doch der letzte Atemzug? - ich beginne automatisch zu husten und ringe nach Luft. Glücklicherweise treibt der Wind den Schwefelrauch schnell wieder weg und versorgt mich wieder mit der üblichen "dünnen Luft". Das ergeht mir in der nächsten halben Stunde noch einige Male so. Und jedesmal muss ich an eine unserer Chemielehrerin in der Realschule denken. Immer nach ihrem Unterricht stank es im Chemieraum GENAU SO. Und jetzt weiß ich auch, warum sie schon gestorben ist... bei dem Mief kriegt man ja keine Luft mehr. Ehm...sorry! |
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Eigentlich möchte ich hier oben ja ein Panoramabild anfertigen. Das heißt, ich fotografiere viele einzelne Fotos mit der Spiegelreflexkamera und drehe mich dabei für jedes Bild ein Stückchen weiter, bis ich 360° in der Runde im Kasten hab. Mit Photoshop bastel ich dann später die ganzen Bilder zu einem Rundumblick zusammen. Dazu hätte ich aber gern "meine" Gruppe vom Krater. Also warte ich, bis sie alle mit dem Abstieg begonnen haben - dann bin ich ganz allein auf dem Ätna. Welch erhebender Moment! Nur ein paar Minuten... ich allein auf dem höchsten Vulkan Europas, ganz der "dünnen Luft", dem Wind und dem fiesen Schwefelgestank ausgesetzt. Bevor mich wieder so eine fette Schwefelwolke erreicht, trete ich den Rückzug an - Okay, Ätna! Hast gewonnen! Hätteste ja sowieso, ich weiß! Und tschüß, ich muss hinter meiner Gruppe her. Der Führer ruft! |
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Der Aufpasser für den jeweils Letzten aus der Gruppe, also immer für mich, macht sich grad im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Staub. Langen Schrittes rauscht er staubend den Hang des Hauptkraters runter und rennt in affenartiger Geschwindigkeit den Süd-Ost-Krater wieder hinauf. Keine viertel Stunde später erkenne ich, wie er dort oben auf dem Kraterrand steht. Wahnsinn, denke ich. Woher nimmt der diese Power. Als ich inzwischen gerademal 100m den Hauptkrater heruntergesurft bin, fliegt genau dieser Kerl schon wieder im Sturzflug an mir vorbei nach unten. Aber auch mein Abstieg hat es in sich.
Wieder läuft man auf Seramis, diesmal wie auf Skiern. Einen Schritt vor und auf dem gleichen Fuß zwei Meter abwärts gleiten. Das andere Bein sorgt für Balance. Das Gefälle regelt die Geschwindigkeit. Es geht fast 45° steil nach unten - hier hinaufzulaufen wäre hingegen unmöglich. Etwas weiter unten ist ein großer Haufen mit auffällig rotem Seramis zu sehen - da treffen sich offensichtlich grad alle. Da fehlt jetzt nur noch ein großes weißes "H", überlege ich. Einige Meter über diesem Treffpunkt frage ich deshalb Francesco, ob da jetzt gleich der Helicopter landet um uns abzuholen. Francesco stürzt vor Lachen fast vom Hang. |
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Außerdem ärgere ich mich beim Heruntersurfen des Ätna-Hanges grade darüber, dass ich noch all die unangetasteten Fressalien im Rucksack habe. Außer zu der erfrischenden Birnensaft-Gesichtsspülung bin ich bisher ja zu nichts gekommen. Plötzlich verteilt sich die Gruppe über ein Feld auffälliger Lavasteine - die hatte ich bereits beim Aufstieg schon fotografiert, weil sie so auffällig bunte Farben haben - und beginnt mit der Jause. Das kommt ja wie bestellt. Auch ich suche mir einen einigermaßen bequemen Vulkanstein-Stuhl und füttere mich mit Wurschtsemmeln, Käsehäppchen und Salamistückchen und fülle mir, diesmal nicht ganz so ungeschickt, den restlichen Birnensaft in den dafür vorgesehenen Schacht - nicht daneben! Na ja - nun sind wir ja auch wieder auf einer Höhe deutlich unter 3.000m, auf der sich niemand mehr über "dünne Luft" beschweren kann. Fazit: all meine Vitalfunktionen scheinen wieder im Normalmodus zu sein. Die kleine Pause lädt auch meinen persönlichen Akku wieder etwas. Es kann also weitergehen. |
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Doch sehr bald nach dieser Pause bemerke ich, dass wir den direkten Pfad zurück zum Philosophenturm verlassen haben. Wie weit wir vom rechten Weg abgekommen sind, erschließt sich mir jedoch nicht, schließlich ähneln sich die Lava-, Schnee- und Seramisfelder sehr. So trotte ich also hauptsächlich bergab hinter der Gruppe her, fotografiere hier und lausche den lehrreichen Ausführungen Francescos da. Dieses Mal stockt die ganze Gruppe in einem wieder schwer zu bewältigenden Lavafeld. Als ewig Letzter kriege ich natürlich wieder kaum mit, worum es ganz vorne überhaupt geht. Plötzlich dreht sich mein Vordermann zu mir um und reicht mir einen Lavaklumpen. "Dangerous - it's very hot!" Der Stein ist wirklich fast zu heiß und schnell reiche ich ihn weiter. Als ich schließlich am wartenden Francesco ankomme und ihn frage "Dove la Musica?", wo ist die Musik... und ich meine damit natürlich jene Flammenhölle, in der die Steine so heiß werden, greift er in ein Loch zwischen den Lavasteinen und zaubert einen weiteren Stein aus dieser Fumarole. Er lässt diesen Stein wie eine heiße Kartoffel in der Hand hin und herhüpfen, macht dabei "Au!" und "Oh!" und überreicht mir schließlich das heiße Ding. Weil auch mir der Stein viel zu heiß ist, stecke ich ihn schnell in die Jackentasche und gehe weiter. |
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Wieder etwas gröberer Seramis - ein Schritt, zwei Meter rutschen. Das kenne ich ja schon. Schließlich bin ich ja grade in der hohen Schule der großen Ätna-Bezwinger. Am unteren Ende biegen alle nach links ab... irgendwie nach oben. Hä??? Ich will doch jetzt nur noch RUNTER und nicht schon wieder RAUF! Alle klettern durch einen Lavatunnel. Der ist entstanden, weil die bis zu 1.200°C heiße Lava, die hier einst durchgeflossen sein muss, recht dünnflüssig war und der Tunnel einen Hangneigungswinkel von höchstens 5° hatte, die Lava also schnell abfließen konnte. Jetzt bläst hier ein steifer Wind und durch die Gruppe wird der Staub wie durch einen Schornstein nach oben getrieben... wie gut, dass ich wieder als Letzter da durch kraxel. Eben... ich kraxele - zeitweise auf allen Vieren! Wann sind wir endlich beim Bus? Als ich durch die Kletterei ziemlich entkräftet wieder ins Freie trete und mir eine ungefähre Ortsbestimmung wieder möglich ist, muss ich erkennen, dass wir uns bereits weit unterhalb des Torre del Filosofo befinden. Ich frage Francesco, ob wir nicht wieder zum Bus gehen. Er antwortet "No, in twenty minutes you are at the cable-car!" und deutet auf die Seilbahn-Station in der Ferne. Na toll! Und ich hatte mich schon so auf den Ätna-Bus gefreut. Bei dieser Gelegenheit erfahre ich dann auch, dass wir heute insgesamt rund acht Kilometer in diesem schwierigen Geläuf unterwegs waren. Irgendwie enttäuscht rutsche ich wieder den Abhang hinab... einen Schritt, zwei Meter rutschen... |
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Kurz vor der Seilbahn wartet der ganze Pulk. Irgendwann komme auch ich angeeiert und frage betont beiläufig "Und? Was geht hier ab?" Der Deutsche mit der Höhen-App grinst mich an:"...Warten auf Andreas!" Ich bin natürlich augenblicklich um keine Ausrede verlegen und kontere nur trocken "Ich bin hier im Urlaub... nicht auf der Flucht!" Uuuups... das hatte gesessen! "Ja, ehm... so hab ich das ja auch nicht gemeint", schiebt er schnell nach, "... ansonsten wandert man ja eigentlich auch eher allein!". Tja, zu spät - You'll never have a second chance, to change a first impression. Wir betreten "La Montagnola". Willkommen in der Zivilisation! Eine junge Dame hält mir ein Tablett mit kleinen Plastikbechern (typisch italienisch) unter die Nase. Sie erzählt mir irgendwas von Limoncello. In jedem Becherchen ist ein Fingerhut voll dieses sizilianischen Likörs aus Zitronen. Ich kenne das Getränk... "mia Famiglia" macht den selbst. Den winzigen Schluck kippe ich zwar rein, er ist so winzig, das man nichtmal die Zunge drin baden kann - eine ganze Flasche kaufe ich davon aber nicht. Als ich mich vom Limoncello-Stand abwende trifft mich der Schlag. Der ganze Raum ist voll mit Touri-Gedöns. Kleine schwarze Plastik-Ätnas mit gelb-rot aufgemalter Lava, Ätna-Bücher in allen Sprachen... schnurstracks fliege ich vorbei - trotz aller Erschöpfung, raus zu den Transportkäfigen für Hühner. Ich will JETZT runter. Die ganze Gruppe macht wohl erst noch "Kaffeekränzchen im La Montagnola". Aber ich warte nirgendwo anders als an der verdammten Seilbahn. |
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Auf dem Weg runter zum Rifugio Sapienza sitzt mir etwas betreten mein deutscher Kritiker gegenüber. "Tja," sage ich, "ich habe vor Jahren schon vier Mal am Wismarbucht-Schwimmen teilgenommen. Dreieinhalb Kilometer durch die offene Ostsee. Von der Insel Poel nach Hohen-Wieschendorf. Oympiaschwimmer haben da teilgenommen. Die sind die Strecke in nichtmal zwanzig Minuten geschwommen. Ich habe dafür dreieinhalb Stunden gebraucht. Die sind da im Kraulstil durchgepflügt, ich bin gemütlich im Brustschwimmen rüber. Ich war immer einer der Letzten. Einmal sogar der Allerletzte. Dafür bekam ich sogar eine kleine Auszeichnung: eine kleine Schnecke auf einem Marmorsockel. Auf dem Marmorsockel steht: "Dem Besten von hinten". Obendrein gab's noch eine Flasche Sekt. Der Vorletzte bekam NICHTS." An der Talstation der "FUNIVIA DELL'ETNA" verabschiede ich mich höflich von dem deutschen Ätna-Wanderer und wünsche ihm noch einen schönen Urlaub.
Sechs Stunden später sind auch wir wieder in Menfi. Zwei Tage später habe ich immer noch einen ordentlichen Muskelkater. Doch dieses Ätna-Erlebnis war es wert. Definitiv!
Eine wichtige Erkenntnis habe ich übrigens auch gewonnen: Krater Silvestri, Refugio Sapienza, das ganze Touri-Gedöns auf dem Parkplatz... das ist alles nur Kindergarten, Krabbelgruppe! Das richtige Ätna-Erlebnis fängt erst am Torre del Filosofo an. Erst da beginnt die wirkliche Ätna-Welt. |
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Alte Autos und Urlaub... sind bei Weitem nicht alle Themen, über die ich hier erzähle.
Andreas Kernke
Übersetzung - Translation - Traduzione - Översättning - Tłumaczenie - перевод
Montag, 11. Juni 2018
Dünne Luft am Mongibello
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Kommentare zum Post (Atom)
Respekt!
AntwortenLöschenIch bin ja nur ein unbekannter Zaungast aus den Weiten des Netzes.
AntwortenLöschenUmso toller, an den Eindrücken mit teilhaben zu dürfen. Was für ein beeindruckender Flecken Erde. Vielen Dank.
Sizilien ist so fern, aber wirklich toll.
Hallo Nils,
Löschenvielen Dank für Deinen Kommentar.
Ja, da hast Du wohl recht. Sizilien ist toll. Aber eigentlich darf ich es gar nicht zu sehr bewerben... sonst kommen dort zu viele Menschen hin! Und mir gefällt es ja eben gerade deswegen so gut, weil ich dort Ruhe vor den typischen Touristenmassen habe.
Gruß