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Mittwoch, 25. Mai 2016

Abschied von einem Freund: Klaus Seehafer

Mitte der Siebziger lief mir Pubertierendem der dunkelhaarige, schwarzbärtige Hüne erstmals über den Weg. Zu einer Zeit, in der es noch Mode war, seinen geistigen Horizont durch Lesen zu erweitern, leitete er die Stadtbücherei in Diepholz. Schnell meinte ich, eine ungeheure Intellektualität in diesem Bibliothekar zu erkennen - dieser Mann war belesen und liebte Bücher über alles. Zudem war er stets auffällig freundlich und lachte viel und gern. Deshalb umgab ihn eine äußerst angenehme Aura. Zumindest empfand ich es schon damals so.

Anfang des neuen Jahrhunderts lernte ich Klaus Seehafer besser kennen. Damals lobte er die schöne Homepage meiner Schwester in ihrem Online-Gästebuch. Dort gab er einfach zu, dass ihn die bunten Zeichnungen auf der von mir produzierten Internetseite der Kinderbuchillustratorin glatt ein wenig neidisch machten. Kurzum bot ich an, ihm eine eigene Webpräsenz zu erstellen. In deren Vorbereitung wurde mir erst klar, dass der Diplombibliothekar schon lange auch schriftstellerisch tätig war. Klaus war Goethe-Spezialist, er veröffentlichte in diesem Fachbereich einige national und international anerkannte Werke der Belletristik. Gerade das sollte eine hervorragende Grundlage für den sinnvollen Inhalt seiner Homepage werden. Bei vielen folgenden Arbeitsbesuchen in seinem Büro zuhause in der Friedrichstraße in Diepholz, lernte ich ihn näher kennen. Schnell festigte sich mein damaliger Eindruck von diesem sympathischen Bücherfanatiker, denn auch zuhause hortete er Hunderte, wenn nicht sogar Tausende von Büchern, in allen Räumen - sogar auf der Toilette! Seine Behausung war eigentlich die Fortführung seiner Bibliothek. Und diese Besonderheit sollte sich bis an sein Lebensende auch nicht ändern.


Eines Tages bat mich Klaus um ein Gespräch in sehr privatem Rahmen. Er ließ mich wissen, dass er sich von seiner Frau trennen, das Haus verkaufen und wegziehen werde. Von solchen Nachrichten war ich sehr überrascht. Wie einen besten Freund weihte mich Klaus seitdem in seine privaten Beweggründe und Gedanken ein. Es war mir eine besondere Ehre, in eine mir bisher unbekannte Welt hinter ihm und seiner Familie schauen zu dürfen. Ich erfuhr so auch von seinem Drang an Veränderung. Denn es spielte auch eine neue Frau eine Rolle in seinem Leben. Bis es dunkel war, saßen wir jetzt häufiger im Sommer abends beisammen. Da auch zufälligerweise meine Ehe gerade an einem dramatischen Ende stand, hatten wir uns viel zu erzählen. Und obwohl uns ein Altersunterschied von vierzehn Jahren trennte, gab es zwischen uns ein wohltuendes gegenseitiges Verständnis. Wir wurden wirklich gute Freunde.
Für seinen neuen Lebensabschnitt änderte Klaus Einiges. Seine wohl wichtigste Kursänderung war, dass er die Leitung der Stadtbibliothek an den Nagel hängen konnte. Längst waren ihm als Chef die ständigen kleinkarrierten Intrigen der weiblichen Belegschaft zuwider. Sehr gern kehrte der überaus Gutmütige dieser hässlichen Szenerie den Rücken.

In der Zeit, in der Klaus seinen Hausstand (natürlich tonnenweise Bücher) langsam aufteilte, einpackte und in seine neue Heimat, Bitterfeld/Sachsen-Anhalt verschickte, unternahmen wir häufige Kinobesuche. Jahre zuvor hatte Klaus das "Kommunale Kino" geleitet - dort wurden/werden Filme gezeigt, die eben nicht die typischen Hollywood-Blockbuster sind, sondern deutsche, europäische, internationale Produktionen, große und kleine Filme, anspruchsvolle, unterhaltsame, engagierte Werke, komische, dramatische, anrührende Filme, Spielfilme, Dokumentationen sowie Filme für ein erwachsenes Publikum und Filme für Kinder und Familien. Anschließend kehrten wir hin und wieder noch zum Rotwein beim Italiener ein. Es wurden immer irgendwie gemütliche Männerabende.

Kurz bevor Klaus dann wegzog, lernte ich meine neue Frau Olivia kennen. Natürlich stellte ich sie Klaus vor. Die kurze Zeit, die er noch in Diepholz weilte, bereicherte also auch Olivia unsere Runde. Und auch die Beiden verstanden sich ausgezeichnet. Schließlich trafen wir auch Klaus' neue Frau. Sie überzeugte uns sofort mit ihrem sympathischen Wesen und einem ganz besonderen Humor. Wir waren in Folge dann auch gern gesehene Gäste im Hause Seehafer in Bitterfeld.

Mittlerweile gestaltete ich für Klaus eine modernere Webpräsenz. Neues Leben - neue Internetseite. Wenig später beschloss ich, mein erstes eigenes Buch zu schreiben. Zum Ausgleich für meinen Einsatz an seiner neuen Homepage bot Klaus mir an, mein Lektor und schriftstellerischer Berater zu sein. Somit profitierte ich einerseits von seinen fachlichen Erfahrungen als Autor und andererseits von seinem Wissen im Umgang mit Verlagen etc. Schließlich verfasste und veröffentlichte er sogar die erste Rezension zu meinem Buch "Serotonin-Achterbahn" im Diepholzer Kreisblatt.

Anlässlich eines Arbeitstreffens zu meinem Buch, besuchten wir gemeinsam mit Klaus die sächsische Metropole Leipzig. Er hatte ein kleines gelbes Reclam-Heftchen, "Goethes Faust", dabei. In Auerbachs Keller (dem legendären Handlungsort dieses literaturgeschichtlichen Werks) kommentierte er, exklusiv für uns, die prominente Örtlichkeit anhand des Goethe Textes - ein unvergessliches Erlebnis!

In den letzten Jahren sahen wir Klaus leider häufig krank. Im letzten Jahr erschreckte uns die Nachricht, dass er an Alzheimer erkrankt sei. Bei unserem letzten Besuch konnten wir darüber recht offen mit ihm sprechen, er wollte zu dem Thema sogar ein Buch schreiben. Nachdem sich sein Allgemeinzustand plötzlich verschlechtert hatte, feierte Klaus seinen 69. Geburtstag jedoch wohlversorgt in einem Pflegeheim. Danach wurde er allerdings schwächer und schlief viel. Ein paar Tage später erreichte uns die frohe Botschaft, dass es ihm wieder deutlich besser gehe, er sogar wieder Späßchen mit dem Personal mache. Kaum drei Wochen später dann die traurige Nachricht seines Endes.

Ich trauerte mit Olivia und seiner Frau um einen lieben Menschen.
Er wird mir durch viele heitere sowie ernste Gespräche und unsere gemeinsamen Unternehmungen immer in freundschaftlicher Erinnerung bleiben. Danke Klaus!

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