Natürlich sang im Jahre 1985 der
Jugoslawe Ibrahim Bekirovic nicht über einen Seat Ibiza. Obwohl Giorgetto
Giugiaro's Fließheckidee mit VW-Technik bereits ein Jahr zuvor auf
den Markt kam, gestand in seinem Hit der Schlagersänger vielmehr seine
Verbundenheit zur balearischen Insel Ibiza, nachdem ihn seine Dulzinea mit
einem Anderen narrte:
"Doch mit der Zeit, ja da merkt' ich dann, daß mein Gedächtnis schlecht vergessen kann. Ich lieb' dich noch, doch verdammt noch 'mal - er hat dich, ich hab' Ibiza."
Eigentlich weiss ich gar nicht,
warum ausgerechnet ICH hier so einen Aufriss um einen alten, silbernen Seat
Ibiza der zweiten Generation mache. Denn genau genommen habe ich damit
überhaupt nichts zu tun - das Auto gehört nämlich Lukas, meinem
dreiundzwanzigjährigen Sohn. Er hatte sich den Wagen (EZ. Nov. 1995) vor
knapp einem Jahr für ein paar Hunderter gekauft um seinem geliebten VW Polo
einen Winter zu ersparen. Ihn reizte am Seat besonders, dass der mit seinen
129 PS offiziell die Bezeichnung GTI trägt... und auch so fährt und klingt!
Allerdings bei entsprechender Fahrweise auch wie ein GTI Benzin säuft und
Reifen frisst!
Tatsächlich offiziell ein GTI
Binnen einen Jahres lernte Lukas
auch unrühmliche Seat-Qualität kennen. Bremsbeläge, immer wieder der
Auspuff, Radlager, Buchsen der Hinterachse, Klappern hier, Verschleiß da...
irgendwann im Frühling war das Maß voll - Lukas meldete entnervt den Seat ab
und seinen Polo wieder an. Seitdem hatte ich mit dem Seat mehr zu tun, als
mir lieb war: er parkte nämlich unter unserem Carport und war damit das
zehnte Fahrzeug auf dem Grundstück.
♫♪♪♫♪"Er hat dich, ich hab' 'nen Ibiza"♫♪♪♫♪
Motor aus dem Golf 2
Bunte Sitzmöbel
Bisschen angemackt
Zwei Türen müssen reichen
Im Blickfeld des Fahrers
Dem Fahrersitz sieht man die 222.331 Kilometer deutlich an
Unoriginal: das GTI-Logo stammt vom VW
Selten bei 20-jährigen Ibiza: nahezu rostfreie Seiten
15-Zoll RIAL-Alufelgen
Von Nahem betrachtet... weniger schlimm
... auch nahezu rostfrei
Im Laufe von Wochen brachte Lukas
den Wagen nun so gut es ging durch Waschen, Polieren, Rost beseitigen,
Staubsaugen auf Vordermann. Schließlich fotografierte ich die spanische Schnitte von
allen Seiten und textete für die eBay-Anzeige wie ein Weltmeister. Es fiel
mir allerdings keineswegs leicht, einen aus der Mode gekommenen katalonischen Kleinwagen zu bewerben. Also stellte ich besonders seine GTI-Gene heraus: "Hol
dir diesen GTI español".
785 Kaufinteressierte besuchten dann auch das Angebot bei eBay, 19 Gebote ergaben zuletzt 306,02 EUR. Das war weit entfernt vom Mindestpreis 1.000,- Euro (versuchen kann man's ja mal!). In der zweiten Runde interessierten sich 630 Besucher für die unveränderte Offerte. Die dabei erzielten 16 Gebote brachten es auf immerhin 452,01 EUR. Jetzt platzte Lukas der Kragen: "Mach 500,-... und weg den Schrott!" Ich schrieb die letzten Bieter per Mail an... und bekam erstmal keine Antwort.
Lukas klapperte mittlerweile ortsansässige Autohändler ab. Jedesmal, wenn er nur erwähnte, dass der Wagen Baujahr 95 ist, lehnte man ab. Selbst die dubiose "Wir-kaufen-Dein-Auto-zu-Höchstpreisen"-Szene, meistens suchen die ja Fahrzeuge für den Export, hielt sich vornehm zurück. Das Vorhaben Seat-Verkauf schien aussichtslos. Sollte hier der Weg für den sportlichen Spanier am Ende sein? Sollte sich schon jetzt irgendein Schrotthändler über dieses ansonsten funktionstüchtige Automobil freuen? Immerhin fanden vor geraumer Zeit im Zuge der Abwrackprämie wesentlich jüngere fahrbare Untersätze den Weg auf Autofriedhöfe. Traurig schaute uns der Ibiza aus seinen Scheinwerfern wie Glasbausteine an. Seine Zukunft schien düster.
Doch es kam überraschenderweise anders: mich erreichte eine eMail. Ob der
Seat noch zu verkaufen sei? Einer der angeschriebenen Bieter aus der letzten
eBay-Auktion konnte aufgrund extremen Zeitmangels die Sache nicht weiter
verfolgen. Doch jetzt interessierte der Mann aus der Nähe von Marburg sich
wieder für unser Auto. Deshalb telefonierten wir miteinander. "Immernoch
500,- EUR? Geht klar!" Ein Tag später organisierte ich einen Trailer, lud
den Seat auf und schaffte ihn ins Extertal. Dort fand nämlich ein
Autocross-Rennen statt, an dem der Sohn des Anrufers teilnahm. Der Vater
reiste bereits mit einem eigenen Trailer an, um unseren Silberling zu
übernehmen.
Wegzug
Bei fiesem Nieselregen rollte der
Ibiza vor dem Autocross-Fahrerlager vom Trailer. Nun war es Zeit zum
Abschiednehmen. Dabei fiel mir sofort wieder auf, wie seltsam das Gefühl
doch wieder ist. Obwohl mich ja nur sehr wenig mit diesem Auto verband, traf
dieser Augenblick trotzdem meine Seele. Verstehe das, wer will - da versagen
wir Männer regelmäßig als Frauenversteher - beim Abschied von einer Maschine
kullern jedoch (innerlich) dicke Krokodilstränen. Unsere sizilianische Freundin Irene sagt immer sehr weise "Abschied ist ein bisschen wie
Sterben". Und damit hat sie verdammt recht.
Kurz vor Ende der Reise
Doch der Autocross-Vater machte
kurzen Prozess. Er kam zufuss durch das Fahrerlager, stand plötzlich vor
uns. Ich drückte ihm den Autoschlüssel in die Hand, er umrundete ein Mal den
Wagen, öffnete die Motorhaube, nickte zufrieden und zählte mir 500,- Euro in
die Hand. Ich übergab ihm die Fahrzeugpapiere. "Moment noch...!" er nahm auf
dem Fahrersitz Platz, startete den Motor, der mich mit seinem typischen
GTI-Sound ein letztes Mal grüßte. "Alles klar!", ließ der neue Besitzer mich
wissen. "Ich kenne diese Autos, wir fahren genau diese 16V-Maschinen gern
beim Autocross". Au weia - war ich jetzt ein Verräter, würde der Ibiza jetzt
sein Leben in einem Autocross-Rennen verlieren? Doch bevor dieser Gedanke
von mir zu Ende gedacht worden war (vielleicht war er auch an meinem Gesicht
abzulesen?) legte der Autocross-Vater nach. "Nein, nein - dieser hier ist
noch so schön, den mach' ich wieder schick fertig. Tschüss!" Sprach's und
spurtete davon.
Da fährt er hin
Tschüss GTI español - mach's gut
und ein schönes Leben noch!
Irgendwie etwas traurig und doch beruhigt kehrte ich nach Hause zurück.
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