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Samstag, 23. Dezember 2023

Realistisch betrachtet

Auch ich stehe auf dem Standpunkt, dass man stets optimistisch in die Zukunft blicken sollte. Doch nicht immer ist die rosa Brille für realistische Betrachtungen tauglich.

Kurz vor Jahresschluss finde ich Ruhe nachzudenken - meine Vergangenheit im Rückspiegel zu betrachten.

Ich finde es durchaus legitim, dass man sich als Ü-60-Mensch über seinen zurückgelegten Lebensweg Gedanken macht. Konstruktiv bringen diese Erinnerungen sicherlich wenig, denn an der zurückgelegten Lebensbahn lässt sich dadurch nichts mehr ändern. Doch kann dieses rückwärtige Denken dem eigenen Gewissen sehr effektiv als Hilfe zur Konfliktbewältigung dienen. Denn viele Lebenssituationen mussten zwar einstmals für den Moment entschieden werden. Doch tief im Unterbewusstsein sind sie auch nach vielen Jahren immer noch nicht endgültig verdaut, weswegen in diesen Fällen einfach keine Seelenruhe einkehren will.

Foto: Peter Rodenberg

Wenn man seine Ruhe nicht in sich findet, ist es zwecklos, sie andernorts zu suchen.

Man schleppt also damit verknüpfte Empfindungen jahrelang unsichtbar - aber nach wir vor quälend - mit sich herum. Die Zeit und eigene Lebenserfahrung können schließlich im altersbedingt ruhiger werdenden Geist dafür sorgen, dass diese alten Probleme zumindest plausibler werden und daher optimalerweise endlich ad acta gelegt werden können. Als grundsätzlich gutmütiger Mensch halte ich dieses innere Konfliktmanagement für überaus wichtig. Für mich ist genau DAS der Inbegriff für "mit sich selbst im Reinen zu sein" und "Frieden mit der Sache geschlossen zu haben".

Ich behaupte, dass dieser Blick auf die eigenen Lebenszusammenhänge der hervorragenden Sicht von einem Berggipfel gleicht. Von dort oben ist man meistens besonders gut in der Lage, bis zum Horizont zu blicken. Wie auch beim Blick in die eigene Vergangenheit, ist es bis zum Horizont natürlich sehr weit. Aus dieser erhöhten Perspektive sind möglicherweise jedoch noch Dinge zu erkennen, die man in der Weite der Ebene mit dem bloßen Auge nicht mehr ausmachen kann. 

Und somit kann dann die mentale Zeitreise beginnen.

Jeder Mensch folgt seiner Bestimmung. Retrospektiv war und ist mein "roter Faden" bedauerlicherweise stets ein Kampf um Anerkennung. Bereits als Säugling muss ich gewissermaßen unerwünscht gewesen sein - so taktlos erklärte es mir jedenfalls Jahre später mein Erzeuger: meine Geburt und umgehende Anwesenheit habe ihn damals ärgerlicherweise ein komplettes Semester seines Studiums gekostet. Unbewusst wurde also bereits zu jener Zeit die Kontroverse um meine Daseinsberechtigung gestartet. Die für jedes Kind so existentiell wichtige  aufopferungsvolle, bedingungslose und unendliche Liebe stand er hingegen perfiderweise äußerst spärlich und lediglich meiner Mutter und meinen Großeltern zu. Wahrhafte väterliche Zuneigung (um bewusst das Wort "Liebe" zu meiden) wurde später wortreich als Fürsorge, Verantwortung und vor allem als monetärer Unterhalt interpretiert. Noch später bestimmten dann jahrelang primär schulische Leistungen meinen Wert und meine Qualität als Sohn. 
Meine eigene wichtige Motivation kam dabei jedoch stets unter die Räder. Notwendig erachtete erzieherische Kurs-Korrekturen arteten oft in körperliche Züchtigung aus, was anschließend obendrein hämisch als unvermeidbare Pflicht väterlicher Liebe deklariert wurde.

Etwas Pädagogik und sehr viel Psychologie.

Lob und Anerkennung wurden mir dementsprechend äußerst selten zuteil. In der von mir studierten Sozialwissenschaft der Pädagogik heißt es: "Lob und Anerkennung werden in der Erziehung eingesetzt, um ein gewünschtes Verhalten positiv zu verstärken. Das bedeutet, dass Eltern oder Pädagogen damit erreichen wollen, dass dieses Verhalten häufiger auftritt" und "Das Selbstwertgefühl verändert sich in quantitativer und qualitativer Form ein Leben lang. Durch Anerkennung fühlen wir uns in dem, was wir gerade erleben und fühlen, bestätigt" oder kurz: Lob und Anerkennung als positive Verstärker sind in der menschlichen Entwicklung existenziell wichtig.
Ich verstehe den positiven Verstärker des Lobs als zwischenmenschliche Interaktion, also eine durch kindliche Aktion ausgelöste erzieherische Reaktion... und umgekehrt. Der bei mir sehr früh geprägte Ausgleich für spärliches oder fehlendes Lob oder gar die Antwort auf negative Verstärker (Strafe, Prügel, etc.), war (und ist noch heute) mein stets zur Schau getragenes Begehren nach Aufmerksamkeit durch Lachen, Albernheit, Clownerie. Diese Sprache versteht schließlich jeder. Die meisten Mitmenschen kennen mich daher primär als lustigen Zeitgenossen. Dass sich hinter dieser Fassade jedoch ein zuweilen ernsthafter oder sogar tiefgründiger Mensch verbirgt, irritiert immer wieder. Schon fast bin ich geneigt, mich bei diesen Menschen für den von mir selbst generierten falschen Eindruck zu entschuldigen.

Mittlerweile haben meine Lebenserfahrungen das ständige Begehren nach Aufmerksamkeit glücklicherweise verschlissen. Besonders mein Selbstbewusstsein ist inzwischen entwickelter, meine Lebensinhalte sind gefestigter und organisierter. Berufliche Erfolge bringen Lob und Anerkennung ein. 
Die Seele hungert nicht mehr nach positiven Verstärkern. Wege der Aufmerksamkeit sind gefunden, hin und wieder finden sich sogar neue Möglichkeiten. Aber dahin war es ein sehr langer, sehr schwieriger Weg. Ein Weg, auf dem ich mich über weite Strecken ausschließlich auf mich selbst fokussieren konnte und musste. Dabei standen einer altersentsprechenden Entwicklung oftmals väterliche Erwartungen, speziell die strikt geforderten schulischen Leistungen, im Wege.

Doch meine Existenz ließ sich langfristig nicht in das aufgezwungene, massiv leistungsorientierte Erwartungs-Korsett meines Vaters zwängen. Mit zunehmendem Alter entwickelte ich Mechanismen, seinen ultimativen Aufforderungen zur aktiven Teilnahme an der Ellenbogengesellschaft zu entgehen. Irgendwann wurden glücklicherweise auch seine Prügelstrafen eingestellt. Ersatzweise ließ er sich jedoch andere Sanktionen einfallen, z.B. finanzieller Art - stets mit dem Ziel, mich durch väterlichen Einfluss gefügig zu halten - oder im Fall von Zuwiderhandlungen empfindlich zu bestrafen.

Seine Sichtweise außerdem: während meiner unseligen Schulzeit wurde mir von ihm gebetsmühlenartig geraten, möglichst lange die Schulbank zu drücken. Sein Credo war stets: "je mehr (und länger) du lernst, desto besser kann es nur für dich sein". Genau das war und ist übrigens jener verhängnisvolle Ratschlag einer ganzen Generation, der inzwischen dazu führt, dass heute alle Heranwachsenden unbedingt studieren wollen und kaum noch jemand ein Handwerk erlernen will - was unter anderem die momentane massive Handwerker-Knappheit zur Folge hat. Jedenfalls wird auch mir dieser Rat inzwischen zum Verhängnis. Denn meine offiziellen Rentenberechnungen sprechen eine ganz andere Sprache: da ich aufgrund des zweifelhaften Rats erst sehr spät begonnen habe, in die staatliche Rentenkasse einzuzahlen, ist für mich ein vorzeitiger Renteneintritt vor dem 67. Lebensjahr weder möglich noch ratsam. Ich muss und werde damit leben!
In meinen vielfältigen Ausbildungen, Beschäftigungen und Berufen war ich zumeist Einzelkämpfer. Dazu muss ich ein wenig ausholen: eine meiner wichtigsten persönlichen Erkenntnisse dabei war, dass ich mich nur äußerst ungern auf andere Menschen verlasse. Man könnte mir deshalb eine eingeschränkte Teamfähigkeit unterstellen, denn diese Sozialkompetenz sollte es eigentlich ermöglichen, sich in einem Team gewinnbringend zu verständigen und mit anderen konstruktiv zusammenzuarbeiten.

Ich erkannte aber, dass diese grundsätzlichen Bedingungen leider meistens individuellen (oftmals ungerechtfertigten) Wünschen einzelner Team-Mitglieder angepasst werden müssen. Somit können die gemeinsamen Ziele des Teams aber unmöglich schnellst- und bestmöglich erreicht werden. Mit dieser Auslegung steht die Teamfähigkeit also einer Produktivität massiv im Wege.

Auf mich allein gestellt bin ich hingegen höchstselbst für die Performance meiner Arbeit verantwortlich. Ich habe gelernt, mich selbst zu motivieren, meine Arbeit zu planen und zu organisieren. Das zeigt sich in zweien meiner Berufe: optimale Arbeitsbedingungen für mich als Industriekaufmann im Außendienst und auch eine perfekte Grundlage für mich als Fahrlehrer. 
Es dürfte wohl durchaus verständlich sein, dass sich diese Art somit auch auf mein privates Leben erstreckt.

Rosige Zeiten? Nein!

Basierend auf Erfahrungen der Vergangenheit bin ich gewohnt, überaus selbstkritisch durchs Leben zu gehen. Stets fühle ich mich verantwortlich für alles Mögliche. Mein ganzes Leben lang glaube ich, schuld an irgendetwas zu sein. Außerdem ging ich immer davon aus, dass alle Menschen zielstrebig, planvoll, kompetent und überlegt agieren. Inzwischen ist mir bewusst, dass ich damit dem größten Irrtum meines Lebens aufgesessen bin. Die Erdkugel beherbergt mit dem Menschen das wohl selbstsüchtigste, planloseste, boshafteste und dümmste Wesen, das jemals diesen Himmelskörper bewohnt hat. Der gottgegebene Wunsch an uns Menschen, unser Organ des Gehirns vernünftig und zweckgebunden einzusetzen, war eine vollkommen aussichtslose Fiktion. Stattdessen ängstigt den Menschen vielmehr, dass sich beispielsweise seine Erfindung der künstlichen Intelligenz verselbstständigen und gegen ihn selbst richten könnte. Das göttliche Experiment "Macht Euch die Erde Untertan!" bezeichne ich als vollkommen missverstanden und daher leider für ausgiebig gescheitert.

Zuversicht?... hmm... leider nicht!

So ist zu erkennen, dass unsere Probleme weder allein noch kollektiv lösbar sind. Eine nötige Kehrtwende wird es nicht geben - immer wird es unüberwindliche Interessenskonflikte geben. Solange es keine uneingeschränkte, weltumfassende Einigkeit über unsere Zukunft gibt, wird niemals ein gemeinsames Ziel erreicht werden können. Zu dazu nötigen Kompromissen ist die Menschheit schlicht nicht bereit und auch gar nicht in der Lage.

Natürlich ist das eine äußerst bittere Erkenntnis. Doch diese erdrückende Prognose wird durch keinen Humor dieser Welt erträglicher. So stehe auch ich fassungs- und konsequenzlos vor den Scherben (m)einer Lebensillusion. Ich glaube NICHT mehr an eine rosige Zukunft. Mein eigener Optimismus muss reichen, um einigermaßen erträglich bis zum eigenen Ende zu gelangen. 

Warum schreibe ich das alles nun hier? Ganz einfach: ich nutze meinen Blog, um meine Gedanken kundzutun - denn dafür ist er meines Erachtens schließlich gedacht. Ich bin mir sicher, dass es Leser gibt, die an meinen Gedanken und meiner Art etwas auszusetzen haben. Speziell in Deutschland wird ja vorzugsweise im Internet gern gemeckert und gepöbelt. Für diese wertlosen Zeitgenossen habe ich einen brandheißen Tipp: Leute, klickt einfach weiter! Besucht andere Seiten - verlasst und vergesst einfach, was Ihr hier gelesen habt! Auf Eure Reaktion lege ich absolut keinen Wert - und genau deswegen habe ich auch entschieden, dass es hier keine Möglichkeit des Kommentierens gibt.

Dieser Post belegt, dass mich durchaus auch ernsthafte und tiefgründige Themen bewegen.

Der Sinn des Lebens ist es, dem Leben einen Sinn zu geben. Verstehen kann man es rückwärts, leben muss man es jedoch vorwärts.

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