Seit fast siebzehn Jahren bin ich inzwischen Fahrlehrer.
In meiner Fahrlehrerausbildungsstätte, dem Verkehrsinstitut Bielefeld, prophezeite man mir damals, dass ich einen großen Teil meiner Arbeitszeit mit der BE-Ausbildung beschäftigt sein werde. Und genauso ist es gekommen.
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Gelernt ist gelernt |
BE - Klasse der schweren Anhänger
Mit der Fahrerlaubnisklasse BE darf eine Kombination aus einem Zugfahrzeug der Klasse B (also einem PKW) mit einer zulässigen Gesamtmasse von maximal 3.500 kg mit einem Anhänger oder Sattelanhänger geführt werden, sofern die zulässige Gesamtmasse des Anhängers 3.500 kg nicht übersteigt.
Hintergrund der o.g. Bielefelder Behauptung war offenbar, dass das Oldenburger Münsterland, in dem die Fahrschule, für die ich arbeite, ansässig ist, national und international besonderes Ansehen durch Pferde genießt.
Das Glück dieser Erde... Insbesondere junge Damen scheinen offenbar begnadete Springreiterinnen zu sein oder voltigieren zumindest. Auch die Pferdezucht ist hier im internationalen Stil vertreten. In Mühlen, nur wenige Kilometer von meinem Arbeitsort Lohne entfernt, betreibt der dreimalige Europameister und erfolgreiche Olympia-Teilnehmer Paul Schockemöhle u.a. eine große Pferdezucht inklusive Deckstation etc., Vechta ist zudem regelmäßig Pferdeauktionslocation - erst kürzlich setzte die Hengstauktion "Oldenburger Hengst-Tage" mal eben 3,5 Millionen Euro um.
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Rückwärts links um die Ecke |
Ich bin ehrlich: mit Pferden hab ich's nicht so! Eher mit Anhängern. Nicht nur Pferde-affine Fahrschüler nutzen daher meine beruflichen Fähigkeiten, ihnen das Fahren mit einem Anhänger beizubringen.
Immerhin: rund ein Viertel sämtlicher Prüfungen waren in der Vergangenheit Anhänger-Prüfungen.
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BE-Ausbildung in den letzten Jahren: die orangefarbenen Balken stellen die Fälle der "nicht in der ersten Prüfung bestandenen Prüfungen" dar. Besonders auffällig ist der gestiegene Bedarf an BE-Ausbildungen in 2021 und 2022 - mutmaßlich eine Corona-Folge. |
In den Fahrstunden machte ich recht früh eine seltsame Entdeckung. Mir fiel nämlich häufig auf, dass es manche Fahrschüler gibt, die mit der BE-Grundfahraufgabe erstaunlich wenige Probleme, andere Probanden hingegen allein im Verstehen der nötigen Lenkschritte extreme Schwierigkeiten haben.
Grundfahraufgabe Die in der praktischen Prüfung generell vorkommende Grundfahraufgabe fordert "möglichst weit rechts anhalten und die Fahrzeugkombination nach links rückwärts fahren, ohne auf den Bordstein aufzufahren oder eine Fahrbahnbegrenzung zu überfahren. Die Fahrzeugkombination darf in der Endaufstellung maximal 1 Meter entfernt, parallel zum Bordstein oder zur Fahrbahnbegrenzung stehen." (bildliche Erklärung s. Abbildung)
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Die BE-Grundfahraufgabe im Bild |
Schwierigkeit
Wer noch nie mit einem Anhänger hinter dem PKW rückwärts gefahren ist, wird in solch einem Fall schnell die Problematik erkennen. Schiebt man den Anhänger mit dem Auto rückwärts und lenkt nach links, fährt das Anhängsel nach rechts... lenkt man rechts, fährt der Anhänger links. Zu dieser Aufgabe benötigt es also etwas Übung.
Interessante Erkenntnis Mich interessierte nun, warum es einigen Fahrschülern leichter fiel als anderen. Deshalb befragte ich sie. Das Ergebnis fand ich beachtlich. Die Fahrschüler ohne Probleme hatten alle als kleine Kinder ein Bobby-Car mit Anhänger, wahlweise natürlich auch Kettcar oder Trettrecker mit Anhänger besessen. Offenbar haben sie also in ihrer Kindheit das Rückwärtsfahren fleißig geübt - davon profitieren sie nun in den BE-Fahrstunden.
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Es war einmal...
Dass man das Autofahren trotz möglicherweise großer Fahrpausen immer noch beherrscht, merke ich immer nach der Urlaubszeit. Manchmal pausieren die Fahrschüler mehr als vier Wochen und befürchten vorher, nach den Ferien alles vergessen zu haben. Die erste Fahrt nach den Ferien ist es für sie dann nur die ersten paar Kilometer ungewohnt - danach stellen sie erstaunt fest, dass ja alles (selbst das Einparken) noch perfekt klappt. Ich erkläre ihnen grundsätzlich, dass das "Fahren" offenbar an besonderen Stellen im Gehirn abgespeichert wird - quasi ein Permanentspeicher oder zumindest ein nicht flüchtiges Read-only-memory (Speicherinhalt wird nur zum Lesen gespeichert - und wie beim Computer hält der Nur-Lesen-Speicher seine Daten auch im stromlosen Zustand 😀).
Fahrschulmodus Ein anderes Thema in den Anhängerstunden ist oft, dass die letzte praktische Führerscheinprüfung bei manchen Fahrschülern möglicherweise schon sehr lange her ist. In der BE-Prüfung ist jedoch natürlich auch das 100%ige Stehen an Stopp-Schildern und roten Ampeln, die Bremsbereitschaft in Rechts-vor-Links-Situationen sowie auch die typische Verkehrsbeobachtung per "Spiegel, Blinker, Schulterblick" oder das schlichte zweihändige Halten des Lenkrads, garantiert prüfungsentscheidend.
Da haben sich oftmals unglaubliche Lässigkeiten eingeschlichen. Als Fahrlehrer muss ich manchen Fahrschüler daher sehr mühsam erst wieder in den Fahrschulmodus zurückholen. Im Fall einer durchgefallenen BE-Prüfung ist es nur gut, dass der Prüfer dem BE-Fahrschüler den normalen Führerschein nicht wieder abnehmen kann. Der missratene Erfolg ist schließlich ohnehin schon Strafe genug.
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So sehen Sieger aus! Glückwunsch zum Anhänger-Schein! |
Hehe, BE gab es ja in meiner Zeit noch nicht, bei bestandener PKW-Prüfung durfte man ja noch dranhängen, "was man wollte". Ob das nun gut war, darüber kann man sich trefflich streiten.
AntwortenLöschenIch weiss noch, als ich vom Ombibus auf den LKW-Zug, bzw. Auflieger gewechselt bin, musste ich mich erstmal tüchtig umstellen. Heute lache ich darüber, wie trottelig ich mich da in den ersten Tagen angestellt habe. :D
Hi Maik,
Löschenich habe damals 1981 natürlich auch Klasse 3 gemacht. Ein paar Monate später war ich Praktikant in einem Gartenbaubetrieb. Irgendwo auf einer Baustelle hieß es dann "Ey, Praktikant! Du hast doch jetzt einen Führerschein - hol mal den Anhänger vom Platz!" Also bin ich mit dem Firmenbulli zum Platz. Dort musste ich erstmal den Anhänger ankuppeln... das hatte ich zuvor noch nie gemacht - hab es aber geschafft.
Anschließend ging es mit dem Gespann quer durch Osnabrück zur Baustelle. Dort angekommen, stellte ich das Fuhrwerk vorn an der Straße ab und meldete beim Meister Vollzug. Der guckte mich nur fragend an und sagte "Wie, vorne an der Straße? Wir brauchen den hier hinten. Schieb den Anhänger mal (natürlich mit dem Fahrzeug) rückwärts hinters Haus!"
Auch das hatte ich natürlich noch nie gemacht. Ich traute mich jedoch nicht zu widersprechen und tat, wie mir befohlen. Auf diese Art lernte ich also mit dem Anhänger rückwärts zu fahren. Und da es ein Mal gut geklappt hatte, war ich zukünftig dazu verdonnert, immer in solchen Situationen mit dem Anhänger rückwärts zu fahren.
Jahre später musste ich als DJ an Wochenenden ständig im Stockdunklen mit meinem Anhänger rückwärts um irgendwelche Eventlocations, um dort (bspw. am Hintereingang der Bühne) meine PA-Anlage aus- oder einzuladen.
Heute könnte ich problemlos mit einem Anhänger rückwärts quer durch eine Stadt wir Bremen fahren.
Heute würde man das alles wohl "learning by doing" nennen. Einem heutigen Verkehrsteilnehmer traut man das technische Verständnis im Umgang und der Handhabung allerdings wohl nicht mehr zu. Dafür gibt es jetzt Fahrlehrer wir mich, die überwiegend der Generation Z das Auto- und Anhängerfahren beibringen.
Gruß
Andreas