Es mag ja zunächst klingen wie die
Predigt eines Pastors. Zumindest aber liest es sich wie eine Lebensbeichte.
Ich habe seinen Beitrag komplett gelesen, habe auch die dazu
gehörenden Fotos betrachtet. Sie zeigen junge, gut gelaunte Menschen vor
oder in alten Autos, Strand, Gaskocher, Gitarre... so war das also. Ich
falle in tiefe Gedanken...
Warum das so war? Dazu muss ich weit ausholen. Im Frühjahr 1981 war ich
gerademal neunzehneinhalb Jahre alt. Weil ich nicht die von meinem Vater bestellte
schulische Laufbahn am Gymnasium (be/)verfolgte, musste ich meinen
Führerschein selbst bezahlen. An ein eigenes Auto war nicht zu denken -
das hätte mich, seiner Meinung nach, auch nur vom Lernen abgehalten. Zu dieser Zeit
war der Drops meiner freien Entwicklung längt gelutscht, immerhin war ich
schon seit fast zwei Jahren volljährig.
Dem gequälten Aufstieg von
der Grundschule zum Gymnasium folgte schließlich mein taumelnder Absturz zur
Realschule... der martialische Einsatz meines alten Herrn endete schließlich mit viel
Ach und reichlich Krach in einer Fachhochschulreife, ja sogar in sechs
Semestern Studium - allerdings ohne Abschluss.
Mit Zwanzig war ich quasi ein gebrochener Psychopath. Nicht wirklich fähig
zu eigenem Willen und selbst fest davon überzeugt, ein missratener Sohn zu
sein. Kleingeredet, schlechtgemacht, gebetsmühlenartig zum Taugenichts
erklärt. Unter diesen steten väterlichen Behauptungen war ich irgendwann selbst von meiner Minderwertigkeit überzeugt. In diesem diffusen Zustand ohne
Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl gab es keinen Platz für eine typisch
jugendliche Gefühlswelt mit Unbeschwertheit, Freiheit, Mobilität, Zuneigung
oder gar Liebe und Freundschaft. Ich war Gefangener meiner Kindheit und Jugend.
Man kann also getrost behaupten, dass die väterlichen
Erziehungseskapaden über weite Lebensstrecken meine
Persönlichkeitsentwicklung blockierten. Unterlassen wir weitere
Analysierungsversuche - mein Psychotherapeut, der mir nach meinem
bisherigen, verpfuschten Lebensweg insgesamt mehrere Jahre lang hilfreich zur Seite
stand, wunderte sich letztendlich, dass aus mir trotz alledem geworden ist,
was aus mir geworden ist. Es hätte auch viel schlimmer kommen können. Ein
milder Trost der für Optimismus Platz lässt!
Ich sparte mir damals mühsam
Geld durch Gartenarbeiten (Rasenmähen, Baumschnitt etc.) zusammen. Durch die
Teilhaberschaft meines Freundes an diesem Projekt entstand ein Fahrzeug,
dass wir gemeinsam zum Urlaub nutzten. In der anderen Zeit fuhr ich es
allein - argwöhnisch betrachtet von... na wem wohl? Hatten wir ihm doch auf
diese Weise tatsächlich ein Schnippchen geschlagen.
Meine Freude einerseits war
sehr lange und stets überschattet durch das Versagen als braver, strebsamer
Sohn andererseits. Die infiltrative väterliche Gehirnwäsche wirkte unglaublich lange und unglaublich
tief. Wäre ich in meinem Leben nicht irgendwie aus dieser
Zwangsverbundenheit heraus gekommen, würde ich wahrscheinlich heute noch "zu
Hause" wohnen, hätte kein Auto, wäre nicht verheiratet, hätte natürlich
keine Kinder, hätte kein eigenes Haus, würde nicht in den Urlaub fahren...
und wäre mindestens Diplomingenieur... und hätte mich wahrscheinlich längst
aufgehängt!
Jens' Geschichte endet mit den Worten "Das Leben kann so wundervoll einfach
sein." Jeder Leser kann nun ahnen, was MIR eine solche Feststellung bedeuten mag. Viele Jahre zweifelte ich manches Mal daran, diesen Zustand je zu erleben.
Seit über zwei
Jahren halte ich inzwischen deutlichen (räumlichen und seelischen) Abstand zu meinem Vater (inzwischen über Achtzig
und Witwer). Obwohl wir keine zweihundert Meter entfernt voneinander wohnen,
sehe ich ihn nur noch äußerst selten. Unzählige endlose Diskussionen mit ihm
haben dazu geführt, dass ich mich seinem Einfluss energisch entziehe. Er legt
seine despotische Art einfach nicht ab, würde sich auch heute noch
bestimmend in mein Leben einmischen. Die Fronten sind geklärt und (es blieb keine andere Möglichkeit) ich musste
eine geistige Mauer zwischen uns errichten. Diese Mauer liegt hinter mir und ich merke endlich,
wie wundervoll einfach das Leben tatsächlich sein kann.
Warum schrieb ich das nun alles? Um zu zeigen, wie unterschiedlich Leben
sein kann. Während der Eine seine Jugend als durchaus lustvoll,
erinnerungswürdig und in gewissem Maße schön empfindet, denkt der Andere eher widerwillig und mit Bauchschmerzen an seine fürchterlichste Zeit der Qual
und des Überlebenskampfes - denn so darf man das getrost bezeichnen. Jeder
betrachtet stets das Leben in jeder Situation aus seiner ganz persönlichen Perspektive. Ich wollte hiermit erzählen, dass zur gleichen Zeit ganz
unterschiedliche Chroniken gefüllt werden. Während der Eine bereits seine
Freiheit mit Freund oder Freundin im eigenen fahrbaren Untersatz zu schätzen
lernt, kämpft der Andere gerademal um seine Grundrechte als Kind, Jugendlicher und Mensch.
Ich bin gewissermaßen froh, dass meine Erlebnisse anderen Menschen erspart
geblieben sind - dass ihr Weg offenbar deutlich besser, schmerzloser und trotzdem zielgerichteter und erfolgreicher als
meiner verlaufen ist. Schön, dass andere Menschen (zumindest im Moment der Geschichte
des ersten Autos) einen gewissen idealen Verlauf ihrer Jugend erleben
durften. Schön, dass sie zu dieser Zeit auf der Sonnenseite des Lebens
standen.
Darauf bin ich etwas neidisch ("Neid ist die ehrlichste Form der Anerkennung!"). Für meinen Geschmack stimmte bei Jens jedenfalls das
Lebens-Timing.
Ich war dagegen leider ein absoluter Spätstarter... unfähig zur Revolution - ein geknebelter Rebell. Heute bin ich nicht mehr Willens Rache, Glut oder auch Hoffnung
oder Barmherzigkeit zu versprühen.
Meine Feuerwerksrakete geht erst los, als man den Rohrkrepierer irgendwo findet und in die Mülltonne entsorgen will. Fast hätte ich nicht mehr mit dem bunten Farbspektakel gerechnet.
Und vielleicht war das hier ja doch tatsächlich eine Predigt!? |
Alte Autos und Urlaub... sind bei Weitem nicht alle Themen, über die ich hier erzähle.
Andreas Kernke
Übersetzung - Translation - Traduzione - Översättning - Tłumaczenie - перевод
Samstag, 29. Oktober 2016
Nie ein Revoluzzer, nie ein Rebell
THEMATIK:
Autos allgemein,
La Vita,
VW Bulli,
VW K 70
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Bester El,
AntwortenLöschenwieder mit einem Glas Wein in der Hand, diesmal ist es Retzina, lese ich deine Zeilen. Und ich muss mehr als ein Mal schlucken. Gar nicht so sehr, weil deine Kindheit das war, was sie war. Dafür kannst du nichts, und das kannst du heute nicht mehr ändern. Aber es beeindruckt mich, wie offen du darüber sprichst. Wie du deinen Vater, anscheinend sehr zurecht, mit dem Rücken an die Wand stellst und klar und deutlich aussprichst, was er damals für ein Verbrechen an deiner Seele und deinem Körper begangen hat. Was für eine familiäre Macht damals, was für eine absurde Ausnutzung dieser Macht. Mir dreht sich der Magen um.
Als einer der wenigen hier im Netz kennst du noch mehr Geschichten von mir als die, die ich aufschreibe. Du weißt, dass meine Kindheit nicht rundherum fröhlich war, und du weißt auch, dass meine jüngere Vergangenheit alles andere als locker flockig gelaufen ist. Ich denke, wir alle haben unsere Zeiten, in denen es wirklich scheiße läuft. Und wir haben die, in denen es rockt. In denen das Leben lebenswert ist. Mein Respekt gilt allen denen, die daran arbeiten, dass es ihnen besser geht. Und die nicht nur jammern. DU -> gehörst definitiv dazu!
Es ist eine gute Erfahrung, dich, deine Geschichte und Olivia kennen zu lernen. Ich bin da sehr dankbar drum. Vielleicht sieht mein junges Erwachsenendasein erinnerungswürdig aus, na klar, ich denke gern an diese Zeiten. Vor allem aber, weil ich da vieles loslassen konnte. Keine Gewalt wie bei dir, die hat es in meinem Elternhaus nie gegeben. Aber das Ausbrechen aus Konventionen, aus vorgefertigten Plänen und verbindlicher ALtersvorsorge - das tat gut. Ich bin lachend und mit wehenden Haaren in die riesigen Fehler reingelaufen, die mir als Erwachsener fast das Genick gebrochen hätten. Du hast das andersrum gemacht. Aber heute stehen wir beide hier und können sagen: Hey, das Leben IST schön.
Weitermachen. Und bis bald.
Jens
Salve Jens,
Löschenüber die Hälfte meines bisherigen Lebens habe ich mein Schicksal still und heimlich ertragen, meine Sorgen und Ängste in mich hinein gefressen. Wenn man es richtig nimmt, hat diese innere Verarbeitung beinahe dazu geführt, dass ich mich förmlich selbst vergiftet habe, den ganzen Scheiß selbst geglaubt und obendrein sogar selbst gelebt habe. Hätte man mich damals nach meiner Kindheit und Jugend gefragt, hätte ich behauptet sie sei glücklich - eine dreiste Lüge. Es konnte ja nicht sein, was nicht sein durfte. Eigentlich voll krank!
Die wenigsten Menschen um mich herum kannten mich anders als so verstellt, so unecht... und niemand wusste, was wirklich dahinter steckte. Doch irgendwie wuchs der innigste Wunsch, irgendwann mal authentisch sein zu können. Doch dazu brauchte es Jahre, ja Jahrzehnte.
Letztendlich verdanke ich einerseits meinem Psychotherapeuten den offenen und ehrlichen Umgang mit meiner Vergangenheit, andererseits den unglaublich vielen Erkenntnissen durch den Tod meiner Mutter.
Seitdem erkenne ich Strukturen in meiner Vergangenheit. Seitdem weiß ich, was ich auf keinen Fall mehr will! Alte Einfluss-Seilschaften sind (so gut es ging) gekappt. Endlich habe ich mein Leben selbst in der Hand - und DAS fühlt sich gut an und macht das Leben schön.
Wir lesen und sehen uns.
Andreas