Sizilien ist nicht die Region, in der Fans des VW K 70 zuerst nach Autos suchen, aber für ein ungeschweißtes Fahrzeug lohnt es sich, weite Strecken zu gehen. Andreas Kernke wurde links des Ätna fündig...
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Vielleicht flechten VW-Fans dem bei NSU entwickelten K 70 keine Lobeskränze, weil er zu anders und ungewohnt war: Als erster Volkswagen besaß dieser Wagen Frontmotor, Vorderradantıieb und Wasserkühlung! In seiner
Fortschrittlichkeit überforderte er wohl die Kunden und die VW-Konstrukteure...
Über den wirtschaftlichen Misserfolg und des von Volkswagen stiefmütterlich behandelten K 70 geriet dessen historische Bedeutung in Vergessenheit. Eines jedoch blieb: Die Käufer vor 50 Jahren waren ebenso Überzeugungstäter wie die Liebhaber von heute. Einen VW Käfer zu mögen, fällt leicht. Aber einen K 70 muss man gut finden wollen.
Signore Fisichella wird dazu gehört haben. lm Juli 1972 ließ er sich einen nagelneuen K 70 L mit leistungsstarker 90-PS-Maschine nach Catania auf Sizilien liefern. Er kaufte also voller Absicht keinen Fiat 128 oder Lancia Beta, obwohl diese ein ähnliches technisches Konzept verfolgten,
Vielleicht war Herr Fisichella ein zufriedener NSU-Prinz-Kunde, vielleicht wollte er mehr Platz, als die einheimischen Produkte zu bieten hatten, Offenbar war er mit seiner Wahl zufrieden, das Auto blieb in der Familie. Rund 50 Jahre nach dem Kauf meldete sich Sohn Massimiliano bei der K 70-Facebook-Community und vermeldete, dass da noch ein solches Auto im Hof stünde...
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Transfer-Leistung: Tapfer schleppte der T3-Turbodiesel den K 70 von Sizilien nach Niedersachsen
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„Ich plante sowieso einen Urlaub in Sizilien und meinte, ich käme mal vorbei", sagt Andreas Kernke. "Das war 2019. Dann kam Corona." Die geplante Reise fiel aus, der nächste Sizilien-Aufenthalt verzögerte sich. Bis zur Besichtigung auf dem Gelände der Villa in Adrano, südwestlich am Fuße des Ätna gelegen, dem
Handschlag (Preisverhandlungen fanden mit in den Staub auf der Seitenscheibe geschriebenen Zahlen statt) und der Rückreise nach Niedersachsen am Haken des T3 REDSTAR sollten noch fast drei Jahre vergehen,
Rund 25Jahre habe der K 70 wohl gestanden, sagt Andreas Kernke. „Der Wagen war derart dick mit Staub und Vulkanasche bedeckt, dass Massimiliano, der Verkäufer, glaubte, der K70 sei grau und nicht silber.“ Die eigentliche Sensation, das ausschlaggebende Argument für den Kauf so weit weg von zuhause, sei der Zustand der Karosserie gewesen.
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Ursprünglich waren Stahlräder montiert, die geschmiedeten Fuchs-Alus stammen vom NSU Ro 80 |
Armaturenbrett und Lenkrad wurden durch bessere erhaltene Gebrauchtteile aus dem eigenen Fundus ersetzt |
Eigentlich war der VW ja für die Tochter gedacht, doch Pläne ändern sich. Jetzt besitzt Andreas Kernke als zwei schöne K 70 |
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„Mehr als ein kleines Loch in einer Endspitze gab es später tatsächlich nicht zu schweißen. Es fand sich weder Rost am Unterboden noch am Vorderwagen. Und gerade die A-Säulen faulen beim K 70 immer, weil sie ab Werk ausgeschäumt wurden und sich bei kaputter Windschutzscheibendichtung oder einem verrosteten Windleitblech mit Feuchtigkeit vollsogen“, sagt Kernke.
Das Wunder der Entdeckung eines nahezu rostfreien K70 wirkt bis heute nach. „Zwei Stunden habe ich den Wagen untersucht! Seit den frühen Neunzigern, als ich mit dem Hobby begonnen habe, ist mir so eine Substanz noch nicht untergekommen. Die Autos liefen ohne jede Konservierung vom Band, rosteten wie verrückt. Vier Exemplare habe ich in all den Jahren geschlachtet, weil die Karosserie nicht mehr zu retten war.“
Einen K 70 - eine sonnengelbe, späte LS-Topversion mit begehrtem 100-PS-Motor-hatte der Fahrlehrer und Technik-Autodidakt Andreas Kernke bereits 1997 restauriert. Aber weil besagter LS schon seit einiger Zeit mit Lagerschaden in der Werkstatt-Warteschlange stand, schien die Idee eines zweiten, fahrbereiten Wagens reizvoll. „Erst sollte ihn meine Tochter bekommen, dann habe ich "Sicliano", wie ich ihn nenne, für mich fertig gemacht", sagt Kernke.
Das Schadensbild des Spät-Heimkehrers war identisch mit dem des restaurierten K 70 LS daheim. „Ich habe ihn zum Laufen gebracht, aber schnell gemerkt, dass auch dieser Motor einen Lagerschaden hatte. Das ist ein typischer Schwachpunkt der Vierzylinder. Und neue Lagerschalen waren wegen der teilweise eben doch sehr schlechten Ersatzteilversorgung lange nicht zu bekommen."
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> TECHNISCHE DATEN |
VW K 70 L |
Motor: wassergekühlter ohc-Vierıylinder-Reihenmotor mit kettengetriebener Nockenwelle.
Ein Doppelvergaser Weber 40 DDHT |
Hubraum: 1605 ccm
(B x H: 82 x 76 mm) |
Leistung*:
90 PS bei 5200 U/min
134 Nm bei 4000 U/min |
Antrieb: Viergang-Schaltgetriebe, Vorderradantrieb |
Maße (LxBxH in mm):
4455 X 1665 X 1435 |
Leergewicht: 1100 kg |
Vmax: 158 km/h |
Baujahre: 1970-1973 |
* Die 90-PS-Version wurde 1973 durch 100-PS-1800er ersetzt. |
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Klare Kante: Die vom Ro80-Designer Claus Luthe entworfene Linie mit den großen Fensterflächen geriet modern, praktisch und übersichtlich. Und vielleicht einen Tick zu nüchtern, um alle Herzen zu erobern.
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Tatsächlich gehörte der auf 1,6 Liter Hubraum aufgebohrte ohc-Reihenvıerzylınder mıt seınen charakteristischen acht Ventildeckeln zu den Altlasten aus der NSU-Ära. Zur Wahl standen eine Normalbenzin-Version mit 75 PS und eine teure Variante mit 90 PS, die Super benötigte. Wirklich schnell war der K 70 mit keinem der beiden Aggregate: Bei 148 km/h lag die Spitze der Einstiegs-Version, die 90 PS-Variante kam auf 158 km/h. Ab 1973 stand der aufgebohrte 1,8 Liter mit 100 PS zur Wahl.
Inzwischen haben sich nach langer Forschung und Suche durch K 70-Experten die Lagerschalen eines Toyota-Turbodiesels als passend erwiesen, doch bis zur Reparatur wollte der VW-Enthusiast nicht warten. Aus dem Fundus beiseite gestellter Motoren zog er eine Basisversion mit 75 PS und setzte diese von oben auf das darunter liegende, verblockte Getriebe. „Mit einem neuen Vergaser aus alten Beständen lief der Motor problemlos. Vorher musste ich aber noch die Umbauten der nachträglich montierten Gasanlage samt Tank und Leitungen entfernen - der deutsche TÜV hätte die nie und nimmer zugelassen. Aber das nächste Ziel ist, den originalen Motor alsbald zu reaktivieren.“
Die Revision der restlichen Technik, des Fahrwerks und der festgegangenen Bremsanlage, war routinierte Fleißarbeit. „Der K70-Club hat vor vielen Jahren von Volkswagen den Ersatzteilbestand übernommen, vieles haben wir intern also noch auf Lager. Aber es gibt Engpässe, so etwa die hinteren Stoßstangen, die wegen der aufgewirbelten Feuchtigkeit wegrosten. In gutem Zustand sind sie selten und kosten bis zu 700 Euro - ein Freund hat mir eine für kleines Geld verkauft“, sagt Andreas Kernke. |
Der Besitzer |
> Während sein Vater mit dem Wechsel vom K 70 zum Audi 100 eine typische auto-mobile
Aufsteigerkarriere vollzog, blieb Andreas Kernke beim Volkswagen.
Seit über 40 Jahren schraubt, sammelt und fährt der 63-Jährige K 70 und ist Teil der gut organisierten und vernetzten Club-Szene. Mehr auf www.k70-club.de |
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Einladend wie die Oberklasse, viel Platz und Komfort: Die Innenausstattung war trotz italienischer Sonne gut erhalten, brauchte aber eine gründliche Reinigung
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Die völlig verrosteten Stahlräder wurden durch mühsam aufpolierte Fuchs-Felgen aus Leichtmetall vom großen Bruder Ro80 ersetzt. „In K 70-Kreisen eine gängige Umrüstung." Dass einige nette Kleinigkeiten wie etwa originale Gummifußmatten von VW Italia, 150 Lire in Münzen und Panini-Bilder der WM 1982 dem Auto beilagen, half nicht wirklich, „Wo immer es ging, habe ich auf meinen eigenen Teilebestand zurückgegriffen."
Eine Lenksäule war fällig, weil beim Italien-Kauf die Zündschlüssel fehlten. Armaturenbrett und Lenkrad, die unter der Sonne Siziliens sichtbar gelitten hatten, ersetzte Andreas Kernke durch besser erhaltene Gebrauchtteile, die Rückenlehnen der Vordersitze durch solche mit integrierten Kopfstützen. Ihr Kunststoff musste jedoch noch schwarz eingefärbt werden.
Das schwarze Velours der Sitze habe er an einigen Stellen mit Nadel und Faden gestopft, die Teppiche vor dem
Waschmaschinengang sogar mit in die Dusche genommen und dort eingeseift: „Meine Frau hat sich totgelacht, aber es hat funktioniert. Was da ein Dreck rausgekommen ist!"
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Kaum Rost, viel Patina und ein Lagerschaden: Stationen einer Wiederbelebung
Den verbastelten Originalmotor brachte Andreas Kernke zum Laufen, diagnostizierte aber einen Lagerschaden
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Vorher-Nachher: Mit Feile, Polieraufsatz, und viel Handarbeit erhielten die alten Fuchs-Felgen neuen Glanz |
Ein paar Flecken am Kotflügel, mehr nicht: der chronische Vielroster K 70 in Topform |
Staub, Dreck, Rost: Erst nach und nach hustete sich die Spritversorgung frei |
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Ein Griff ins Regal genügt: Zubehör wie das passende Radio spendeten vorherige Schlachtautos - dies kommt nun bei "Siciliano" zum Einsatz |
Der Hinterachsbremse genügten neue Radzylinder, Federn und Beläge |
Der K 70-Vierzylinder wurde einst aus dem luftgekühlten Triebwerk des NSU 1200 weiterentwickelt. Zur Zeit ist hier ein 75 PS starker 1600er verbaut, der originale 90-PS-Motor wartet noch auf Überholung
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Zwar reichte es aus, den Unterboden zu schleifen und zu säubern sowie mit farblich passender Hammerite-Schutzfarbe zu streichen. Aber der Lack, der sowohl Betonspritzer wie Reste von Holzlasur auswies, benötigte eine Woche der Bearbeitung und Politur per Hand: „Wo oberflächlich Rost oder ungeschützte Falze zu finden waren, habe ich die Stellen mit Owatrol behandelt“, sagt Andreas Kernke. Der völlig originale Blechzustand wog bei der Abnahme fürs H-Kennzeichen denn auch schwerer als der mit den Jahren verblasste Originallack des in Nähe des Vulkans geparkten K 70. Manchmal lohnt es sich, auf der Suche die Extra-Meile zu gehen! _____________________________________________
Text: J.-H. Muche / Fotos: A. Beyer |
> STIEFKIND AUS NECKARSULM |
Die Zukunft hat begonnen |
Mit dem „Typ X1" wagte NSU den Aufbruch: Künftig sollte der K(olbenmotor)70 die große Lücke zwischen den alternden Heckmotor-Modellen und dem R(otationsmotor) 80 mit Wankel schließen. Als endlich alles bereit stand, war NSU pleite, Volkswagen übernahm die Aktienmehrheit. Erst im September 1970, mit eineinhalb Jahren Verspätung, lief im neu errichteten Werk Salzgitter die Produktion an. Vorderradantrieb, längs eingebauter Reihenmotor mit Wasserkühlung, Einzelradaufhängung rundum, vier Türen und ein echter Kofferraum - all das war neu bei Volkswagen. Schwache Heizung, schlechter Motorlauf und hoher Verbrauch lauteten die Kinderkrankheiten des K70. lm Mai 1975 war die Karriere des stiefmütterlich behandelten NSU-Erbstücks nach 210.082 Exemplaren beendet. Die Zeit selbst entwickelter Frontmotoren plus Vorderradantrieb war bei VW 1973 angebrochen. |
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