Seit dreißig Jahren besuche ich nun Sizilien. Diese Zeit sollte für mich als Menschen ausreichen, um Veränderungen und Entwicklungen auf dieser Insel erkennen und benennen zu können. Viel hat sich zum Beispiel getan beim Müllproblem - damals hat man "die Deutschen" belächelt, ja verhöhnt: "Was habt Ihr? Einen grünen Punkt? Gelbe Säcke? Mülltrennung? Recycling?" Heute wollen sie mir auf ihren Mülltrennplätzen erklären, was Pappe, was Alu, Plastik oder Biomüll ist. Krass, nicht wahr? Aber es trägt bei der Bevölkerung zu einem längst fälligen Wechsel des Bewußtseins bei. McDonalds gibt keine Strohhalme mehr heraus... die überflüssigen Kunststoffplastikabdeckungen auf den Softdrinks aber schon. Den Tablettwagen (in den man bei uns in Deutschland die Reste des Mahls am Ende etagenweise einschiebt) gibt es in Italien gar nicht mehr - hier wird Müll ordnungsgemäß sortiert. Das geht endlich alles schon irgendwie in die richtige Richtung.
Krasser Gegensatz - nur zwanzig Kilometer weiter. Man durchkurvt mit dem Auto atemberaubende Serpentinen. Eigentlich gibt es hier eine superschöne Aussicht! Wenn da der Straßenrand nicht komplett zugemüllt wäre. Und das nicht erst seit gestern, sondern (auf Street-View unleugnebar protokolliert) seit mindestens zehn Jahren.
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Anderes Beispiel: wir nutzen eine Einkaufsmöglichkeit, die es vor dreißig Jahren auch noch nicht gab. Penny - gibt es seit ein paar Jahren, ebenso wie LIDL. An einem sonnigen Vormittag mit brütenden 35°C rollen wir auf den glühenden Parkplatz eines Penny-Supermarktes. Von den zwanzig Autos, die hier herumstehen, tuckern vier oder fünf mit laufendem Motor und hechelnder Klimaanlage - während die Insassen in aller Seelenruhe einkaufen. Was ist los mit diesen Menschen? Wie ignorant kann man eigentlich sein?
Aber ich will hier nicht den Moralapostel spielen - da hätte ich reichlich zu tun... und ich bin ja im Urlaub...
Es gibt schließlich auch Dinge, die sich wahrscheinlich nie ändern werden. Und darüber möchte ich hier kurz vor Urlaubsende nochmal berichten.
Vor ein paar Tagen hatte ich bei Facebook folgenden Post abgesetzt: |
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Ich will ganz ehrlich sein: ich habe von alldem nichts gespürt! Wahrscheinlich, weil ich nicht weiß, wie sich ein Erdbeben anfühlt. Nur das Beben um 8:49 Uhr mit der Stärke 2,3) meine ich möglicherweise akustisch wahrgenommen zu haben. War es ein tiefes Grollen - etwa so, wie wenn daheim in etwa zwei Kilometer Entfernung ein schwerer Güterzug die Bahnlinie entlang rumpelt... und der zufällig günstig stehende Wind die Geräusche zu uns nach Hause herüber trägt? Wie fühlt sich ein Erdbeben an? Wie hört es sich an? |
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Erdbeben - damit kann ich als Bewohner der deutschen Tiefebene wenig anfangen. Unwissend, was sich damals, 1968, in Menfi abgespielt haben mag, durfte ich in meinem ersten Sizilienurlaub 1989 in einer der vom Roten Kreuz Deutschland aufgestellten Baracken wohnen. Ganze Stadteile Menfis bestanden auch zwanzig Jahre nach dem verheerenden Erdbeben noch aus diesen schlichten Holzhütten. Sie waren eigentlich als Übergangslösung gedacht - bis die Menschen wieder in neue, feste Häuser ziehen konnten. Doch viele Leute nutzten die Behausungen noch jahrelang als Hauptwohnsitz - bis die Stadt sie rausschmiss und die Baracken endgültig abriss. Heute steht keine einzige dieser Notunterkünfte mehr. Sämtliche Spuren sind restlos beseitigt.
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Doch anderenorts sind viele Spuren des Erdbebens auch nach 51 Jahren noch immer sichtbar. Es gibt sogar Orte, für die der 15. Januar 1968 bis heute ein regelrechtes Trauma geblieben ist.
Das damalige Epizentrum im Belicetal liegt Luftlinie etwa zehn Kilometer von unserem Urlaubsort entfernt. Schon vor dreißig Jahren bemühten sich meine sizilianischen Freunde, mir die Orte ihrer Terremoto-Tragödie zu zeigen. Es waren (und sind) eindrucksvolle Bilder, die ich nie vergesse.
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Die Bürgermeister der betroffenen Dörfer und Städte verfolgten nach dem dramatischen Beben unterschiedlichste Strategien, ihren Mitbürgern einen wieder lebenswerten Raum zu schaffen. In Menfi baute man einfach wieder auf, was zusammengerüttelt war. Andere Orte (Gibellina und Poggioreale) wurden nicht wieder aufgebaut. Sie lagen derart in Schutt, dass sich ein wirtschaftlicher Wiederaufbau nicht lohnte. Gibellina, Montevago, Poggioreale oder Santa Margherita di Belice baute man an anderer Stelle komplett neu. Die alten Ruinen ließ man als Andenken - aus der Ferne scheint z.B. das alte Poggioreale intakt zu sein, es ist aber eine Geisterstadt. Oder man engagierte, wie in Vecchia Gibbelina, einen Künstler - Alberto Burri - der in einer ersten Phase von 1984 bis 1989 das Landart-Denkmal "Cretto di Burri" realisierte und 2015 (anläßlich seines 100. Geburtstags) fertigstellte. Er bedeckte die kompletten Ruinen der Altstadt, Straßen und Gassen als gigantisches Denkmal mit einer ca. 1,50 Meter hohen Schicht weißem Beton - was an ein Leichentuch erinnern soll. Ich empfinde diesen Sarkophark eindrucksvoll als Kathedrale der Stille.
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Was hat man nun aus dem Erlebten und Erlittenen gelernt? Lassen sich Bauwerke technisch erdbebensicherer erstellen? Man kennt es aus TV-Dokumentationen, ja - man könnte erdbebensicherer bauen. Schaue ich mir die in der Zeit nach dem Erdbeben errichteten italienischen Häuser so an... kann ich mir jedoch nicht wirklich vorstellen, dass die Menschheit aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat. Auf aktuellen sizilianischen Baustellen werden immernoch poröse Muschelkalk-Steine zum Mauern benutzt, deren Bestandteile man problemlos zwischen den Fingern zerreiben kann. Immerhin verfügen die neueren Häuser oftmals wenigstens über ein Stahlbeton-Skelett.
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Obwohl: lange betrachtete man ja Stahlbeton als DIE Erfindung schlechthin. Ein regelrechter Bewunderer dieses Baumaterials war ja der italienische Architekt Riccardo Morandi (*1902, †1989)... und machte davon reichlich Gebrauch. Unzählige Gebäude, gern auch hohe Brücken, entstammen seinem Hirn. Jeder kann sich einen Reim auf Morandi's Konstruktionen machen, wenn man sich u.a. an das Polcevera-Viadukt (2018 in Genua eingestürzt) oder das (seit März 2015 wegen baulicher Schäden gesperrte) Akragas-Viadukt in Agrigento erinnert.
Es überkommt mich manchmal ein mulmiges Gefühl beim Überfahren manch tollkühner Brückenkonstruktion - gepaart mit einem nicht immer optimalen Pflegezustand... besser nicht hinsehen, nicht nachdenken - Augen zu und leichtfüssig drüberhin! Es wird schon nichts passieren... hoffentlich! Und dazu bedenken wir jetzt mal den Fall eines Erdbebens... lieber nicht! |
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Ja - Sizilien lebt... und bebt auch manchmal.
Einen Tag, bevor wir zuhause in den Urlaub aufgebrochen sind, fliegt der Stromboli (keine 200 Kilometer Luftlinie von Menfi) mal eben so in die Luft und nun hat's also auch mal wieder in Menfi gebebt. Ach ja - und der Ätna (keine 150 Kilometer quer rüber) rumpelt eh ständig vor sich hin. Apropos Ätna! Ich mag ja diesen gigantischen Mongibello. Auch, wenn er sich manchmal zickig anstellt. Wie neulich, wie auch jetzt wieder. Der Herr Vulkan wünscht heute keine klaren Fotos. Nach DSGVO entscheidet er einfach: "... für Dich habe ich heute leider kein Foto!" |
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Wie schon die vielen anderen Male auch, fahren wir trotzdem einfach wieder hinauf. Mühsam schraubt sich der REDSTAR die vielen Kurven und Kehren an der Vulkan-Ostflanke empor, immer wieder fächelt sein große Ventilator den Wärmetauschern hinter dem Kühlergrill zusätzlichen Wind durch die Lamellen. Nach unzähligen Steigungen im zweiten oder gar ersten Gang erreichen wir in fast 2.000 Metern Höhe das wolkenverhangene Rifugio Sapienza. Es sind hier oben erfrischende 25°C - unten waren es fast 10°C mehr.
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Was mir sofort auffällt ist die geballte Masse an Touristen. Hier oben unterm Himmel ist es heute echt voll! Na gut - da ich diesen Ort bisher meistens eher in der Nebensaison bereist habe, ist der Trubel ungewohnt. Wir finden irgendwo ein Plätzchen für's Auto (... ich lasse ihn ja nur äußerst ungern aus den Augen!). Heute wollen wir mit der Seilbahn knapp 500 Meter höher und dann mit einem Unimog-Bus nochmals 400 Meter bis zum Torre del Filosofo auf 2.920 Meter.
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Doch wir prallen an der Kasse der Seilbahn "FUNIVIA DELL'ETNA" bereits ab. Für uns vier Peoples wollen die mal eben 260,- Euro haben! What? Für eine viertel Stunde Seilbahn rauf, eine viertel Stunde Unimog-Bus und das Ganze wieder return? Wowww - die wissen aber, wie man Geld macht! 65,- Euro pro Person! Wir entscheiden kurzerhand: NICHT MIT UNS! ... und erst recht nicht bei dem bisschen Fernsicht... und kehren wieder zurück zum Auto.
Dann muß heute halt der Crateri Silvestri reichen. Im Vergleich zu meiner Tour im letzten Jahr, ist dieser kleine Krater aus dem Jahre 1892 ein "Kindervulkan" - natürlich ohne echte Lava, aber die hätten wir auch fast einen Kilometer höher nicht zu Gesicht bekommen.
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Der Rundgang auf dem Kraterrand ist zwar belebt aber trotzdem eindrucksvoll. Der Blick geht trotz Wolken in die Ferne. Die Stille ist hier oben immer wieder speziell. Früher dachte ich, ich sei hier auf dem Ätna. Nach meiner Exkursion des letzten Jahres weiß ich, dass dieses hier allenfalls ein winziger Vorgeschmack auf den Ätna sein kann.
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Der Familie gelüstet es nach Gaumenschmaus. Die Pinte "La Capannina" gegenüber des Crateri Silvestri macht gleich Feierabend und will keine Panini mehr herrichten, und in der "Bar Ristorante" direkt am Krater wartet seit etlichen Stunden ein in der Größe mir nicht angepasstes Panino für sage und schreibe 6,- Euro. Ehm - JETZT REICHT'S!
Spontan wird uns der Standort der nächsten McDonalds-Filiale am Fuße des Ätna bekannt... da kennt man den Preis und den Frischegrad des zu Verspeisenden. Und an den Fuß wollten wir ja sowieso wieder. Und dann wieder nach Hause.
Fazit: Ätna zu Touri-Hotspot-Zeiten meiden! Statt "FUNIVIA DELL'ETNA" und Unimog-Bus bis zum Torre del Filosofo für 65,- Euro EINZELN, lieber Ätna-Exkursion all inclusive für 90,- Euro buchen.
Ansonsten: Ätna - immer wieder schön! Und gefährlich...? Wären wir sonst hier gewesen? |
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* "Terremoto e Eruzione Vulcanica" heisst natürlich "Erdbeben und Vulkanausbruch".
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Alte Autos und Urlaub... sind bei Weitem nicht alle Themen, über die ich hier erzähle.
Andreas Kernke
Übersetzung - Translation - Traduzione - Översättning - Tłumaczenie - перевод
Freitag, 26. Juli 2019
Terremoto e Eruzione Vulcanica*
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