Sonntag, 30. Oktober 2011

Mit Geduld und Spucke fängt man manche Mucke

Fahrlehrer und Geduld...
zwei, die unbedingt zusammen gehören
Auf der Suche nach dem Wort „Geduld“ findet man bei Wikipedia: „Das Wort Geduld (auch altertümlich: Langmut) bezeichnet die Fähigkeit, warten zu können. Oft gilt Geduld als eine Tugend; ihr Gegenteil ist die Ungeduld.

Als geduldig erweist sich, wer bereit ist, mit ungestillten Sehnsüchten und unerfüllten Wünschen zu leben oder diese zeitweilig bewusst zurückzustellen. Diese Fähigkeit ist eng mit der Fähigkeit zur Hoffnung verbunden. Geduldig ist auch, wer Schwierigkeiten und Leiden mit Gelassenheit und Standhaftigkeit erträgt.“
Das braucht ein Fahrschüler:
einen Fahrlehrer mit viiiiiel Geduld
Wäre er nicht so verdammt wahr, würde mich spätestens der zweite Absatz zum unkontrollierbaren Prusten bringen. Allein die Ausdrücke „ungestillte Sehnsüchte, Fähigkeit zur Hoffnung und Leiden mit Gelassenheit“ lassen mich schon beim Lesen lautstark losgröhlen.

Recherchiert man weiterhin bei Wikipedia nach dem Wort „Fahrlehrer“, so findet man hingegen an keiner Textstelle auch nur einen einzigen Hinweis auf „Geduld“ als besondere geistige oder charakterliche Voraussetzung für eine solche staatlich anerkannte Lehrkraft, die ich nunmal bin.
Geduld, Geduld...
Doch bei kaum einem anderen Beruf ist  „Geduld“ ultimativ erforderlicher – okay… vielleicht brauchen Taxifahrer ebenso viel davon – deren Geduld ist aber auch von ganz anderer Qualität, eher mehr stehend und abwartend. Fahrlehrer’s Wirken kann natürlich unmöglich auf Abwarten basieren. Seine Fahrschüler bezahlen schließlich für automobile Bewegung… „Wird Zeit, dass sich was dreht!“
Gut Ding braucht Weile... man muß warten können!
„Fahrlehrer meets Geduld“ hatte ich bereits in der Fahrlehrerausbildung kennengelernt. Von meinem plötzlich fies grinsenden Chef bekam ich nämlich einen „gebrauchten“ Fahrschüler. Sowohl Chef selbst, als auch andere angestellte Fahrlehrer, hatten sich bereits lange zuvor an diesem Bürschchen erfolglos die Hörner abgestoßen… und ihn mental eigentlich als „nicht verkehrs-erziehbar und automobil-motorisch-untauglich“  entsorgt. Diesem „aus-der-Fahrschul-Urne-Gekratzten“ sollte ich nun also zum Führerschein verhelfen.
Demonstrativ dankbar und natürlich bewußt tapfer nahm ich diese Herausforderung an. Ich sah sie quasi als Reifeprüfung, DEN Job meiner Ausbildung – wenn ich DAS schaffen würde, dann wäre ich wohl bereit für alle Unbillen, die einem Fahrlehrer in Zukunft in die berufliche Quere kommen könnten… zumindest im ersten Jahr.
Der schwierige Fall entpuppte sich in den nächsten Wochen als verschüchterter, nervöser, junger Mann mit russischem Migrationshintergrund und offensichtlich niedrigem Bildungsstand. Ihm fehlten, trotz der vorangegangenen 75 Fahrstunden, noch einige motorische Fähigkeiten und eine dringend nötige Routine. Er beklagte sich, dass meine Kollegen sehr ungeduldig (und obendrein sehr unhöflich) waren, obwohl er sich beim Fahren alle Mühe gegeben hatte. Mein Chef hatte ihn schließlich sogar mit dem Spruch „Du bist zu blöd zum Autofahren“ nach einem Fahrfehler auf einer Kreuzung aus dem Fahrschulauto geworfen. Das fand ich ja ungeheuerlich und Chef’s Art alles Andere als nachahmenswert. Er konnte mir somit aber wenigstens noch als schlechtes Vorbild dienen.
Man sieht nicht immer fröhlich aus...

Dieser Fahrschüler absolvierte jedenfalls unter meiner Regie weitere 75 Fahrstunden, fiel aber leider bei seiner ersten Fahrprüfung durch – fristgemäß musste er deshalb sogar die theoretische Prüfung wiederholen – ich half ihm sogar in meiner Freizeit bei der Vorbereitung dazu. Erst die dritte praktische Prüfung bestand er endlich.
Mein Chef fragte anschließend verwundert, wie ich DAS denn wohl geschafft habe. Ich antwortete, dass ich immer freundlich und ruhig geblieben bin und bei Bedarf Probleme wieder und wieder erklärt habe – und den Fahrschüler letztendlich durch ständig wiederholtes Üben zur Prüfungsreife brachte. Darauf erklärte er mir: „Wenn du den Job schon so viele Jahre wie ich machst, dann kannst du auch nicht mehr ruhig bleiben und so viel Geduld haben.“ Einem Pädagogen mit dieser Einstellung zu seiner Geduld sollten Begriffsstutzige und weitgehend Lernresistente lieber aus dem Wege gehen – finde ich.
Doch auch ein mental noch so entspannter Fahrlehrer stößt beruflich irgendwann mal an die Grenzen seiner Geduld – gerät gefühlt vielleicht sogar darüber hinweg. Mein persönlicher Rahmen liegt zwar „weit draußen“, kann aber vom Auszubildenden durchaus mit etwas Geduld seinerseits erreicht werden.
... und es geht nicht immer nur vorwärts
Dazu bedarf es allerdings (s)einer übermäßig hartnäckigen, ausgeprägten und nahezu nicht behebbaren Untalentiertheit. Fehlt ihm/ihr nun auch noch die durchaus wichtige Fähigkeit, sich in vernünftigem Maße der deutschen Sprache zu bemächtigen (noch zu toppen durch: … lebt aber schon viele Jahre in diesem Land), schwindet die Chance auf einen langanhaltenden „Welpenschutz“. Mit der frechen Forderung nach einem in seinem Vokabularium mit ihm kommunizierenden amtlich anerkannten Prüfer, fahren meine normalerweise nahezu unerschöpflichen Geduldsreserven für solcherart Schutzbefohlene dann schlagartig auf Tiefststand.
... und laaaaangsam die Ku-pp-lu-ng ko-mm-en lassen
Wir traditionell nachhaltig schuldbewußten Deutschen räumen der integrationsmäkelnden Spezies auch in Punkto Führerschein aberwitzige Privilegien ein: die theoretische Prüfung beispielsweise ist hierzulande problemlos in einem Dutzend Sprachen möglich – wie wäre das aber im Gegenzug, wenn ausgerechnet ein deutscher Bundesbürger als  „Gastarbeiter“ beispielsweise eine Lizenz in Syrien oder der Ukraine erlangen möchte? Oder: würde ein türkischer Fahrlehrer und später auch der orientansässige Prüfer den Füherscheinbewerber auf Deutsch durch Istanbul dirigieren? Und würde der sicherlich südländisch temperamentvollere Verkehrspädagoge seiner Bestimmung auch mit meiner nordisch stoischen Geduld nachgehen wollen?
Erlebter Fall: Nach einer misslungen Prüfung erklärte der TÜV-Sachverständige der türkischstämmigen Dame, dass sie leider durchgefallen sei. Zunächst zickte sie jedoch herum, dass sie inzwischen sooo viel Geld für „de Führerschein“ ausgegeben hatte… nun müsse sie ihn aber endlich mal bekommen. Als der Prüfer ihr freundlicherweise klar machen wollte, dass man seinen Führerschein in Deutschland NICHT einfach käuflich erwerben kann und woran es denn nun speziell in ihrer Prüfung gehapert hatte, stellte sie einfach auf stur und behauptete stumpf: „nix verstehn’!“ Prüfer’s letzte Worte in dieser Sache, dass sie aber wirklich durchgefallen sei, garnierte sie flappsig mit „Scheisse!“, was den grienenden Sachverständigen natürlich zum Nachsetzen veranlasste: „Ach, DAS können sie aber verstehen!?!“
Fahrlehreralltag: Parken bis der Arzt kommt
Während der Fahrstunden sind aber immer häufiger andere Auswirkungen fehlender Geduld zu beobachten. Okay – wer fährt schon gern hinter einem Fahrschulauto her? Trotzdem fällt mir dabei ein dramatischer Verfall der Verkehrsmoral vieler anderer Verkehrsteilnehmer auf. Und zwar (für die automobilen Profis) peinlicherweise entegegen alldem, was jeder Fahrschüler in der theoretischen Pflicht lernt.
Geduld? Was ist das?
Fahrschulautos MUSS man grundsätzlich überholen
Selbst der Grundsatz, dass der Stärkere auf den Schwächeren Rücksicht nimmt, wird auf dem Schlachtfeld Straße komplett umgekehrt: da gilt das Gesetz des Stärkeren. Das Fahrschulschild weist ein Fahrschulauto als Freiwild aus!
Doch es bedarf dieses Schildes nicht!
Ungeduldig? Nö!
Geneigter Leser, lieber automobiler Freund, lieber sachverständiger Mobilist.
Versuche doch mal wieder reinen Gewissens mit einem Automobil am öffentlichen Straßenverkehr teilzunehmen?
Ich meine jetzt… ABSOLUT IM EINKLANG MIT DER StVO!
Guck mal wieder auf den Tacho!

Wenigstens Fahrschüler fahren meistens gesetzestreu!

Ohne Geschwindigkeitsüberschreitung, ohne Missachtung eines Überholverbotes, dem vorgeschriebenen Stillstand an der Haltlinie unmittelbar nach einem STOP-Schild, Haltebereitschaft an Rechts-vor-Links-Kreuzungen, Schulterblick, Spiegelbenutzung, KEINEM Rotlichtverstoß, wirklich ausreichender Sicherheitsabstand beim Hinterherfahren, gefahrloses Überholen, Beachtung von Durch- und Einfahrtsverboten, schraffierten Flächen und durchgezogenen Linien, Park- und Haltverboten, mit Schrittgeschwindigkeit an warnblinkenden Bussen vorbei, mit mäßiger Geschwindigkeit und eigener Absicherung über einen Bahnübergang… etc, etc.!
EINFACH SO FAHREN, WIE DU DAS DAMALS IN DER FAHRSCHULE GELERNT HAST! SO, ALS OB DU MORGEN WIEDER ZUR PRÜFUNG MÜSSTEST!
Du wirst fassungslos sein, was du erlebst! Du wirst spüren, dass du, obwohl du dich absolut StVO-konform verhältst, das reinste Verkehrshindernis bist. Du wirst angehupt, beschimpft, bedroht und andere Verkehrsteilnehmer werden dir bewusst deine Rechte nehmen.

Hier mal einige ganz alltägliche Beispiele:

Auf einer mit Splitt bestreuten Landstraße (40-km/h-Geschwindigkeitsbegrenzung) außerorts setzte neulich ein Traktor mit zwei Anhängern zum Überholen an. Wir fuhren die ausgeschilderten 40 km/h. Einige LKW hatten das Überholen bereits vorgemacht!

Bis auf ca. 5 Meter kam vor einiger Zeit ein 40-Tonner in einer 70-Zone außerhalb geschlossener Ortschaft an das Heck des Fahrschulautos heran. Als die Geschwindigkeitsbegrenzung aufgehoben wurde, wollte der LKW gerade zum Überholen ansetzen – trotz Gegenverkehr und Überholverbot!
Fahrschüler brauchen Selbstbewußtsein
Wir befuhren den mittleren Fahrstreifen einer Autobahn. Rechts, ein LKW nach dem Anderen. Einer Geschwindigkeitsbegrenzung (80 km/h) folgend, verzögerte die Fahrschülerin in Höhe des Schildes. Fortan wurden wir links von Fahzeugen überholt, die sich (mit geschätzten 100, 120 und mehr km/h) nicht an die ausgeschilderte Geschwindigkeit hielten und von allen LKW rechts (von mir geschätzte Differenz: mind. 15 km/h) überholt. Einige LKW-Fahrer beschwerten sich mit Hupe und Lichthupe darüber, dass wir uns aufgrund dieser Lage auf die rechte Fahrspur einordnen wollten. Dieses Manöver wurde von den LKW-Fahrern jedoch aggressiv vereitelt.
Straßenverkehr in Deutschland: ein Waterloo
Beim Passieren eines warnblinkenden Schulbusses an einer Bushaltestelle wurden wir wütend hupend überholt! Der Fahrschüler fuhr nicht die vorgeschriebenen 4-7 km/h, sondern fast 15 km/h!

Ähnliches passierte beim Überqueren eines unbeschrankten Bahnübergangs. Die Fahrschülerin verringerte vorschriftsgemäß die Geschwindigkeit (etwa 30 km/h) um selbst einen Blick auf die Schienen werfen zu können… in dem Moment überholte ein PKW mit geschätzten 100 km/h.
Zeit um Zeit zu haben
So könnte ich stundenlang berichten! Und jetzt die Frage nach dem Fazit (und DAS steht manchmal sogar auf Grabsteinen): warum? Ganz einfach aber ernüchternd: niemand pflegt mehr die Tugend der Geduld. Alle rasen ihren Terminen hinterher – niemand hat mehr Zeit in dieser Zeit… ist das nicht ein trauriger Zustand?
Fahr mal wieder vorschriftsmäßig!
Aber erlebt es selbst – fahrt einfach mal BEWUSST KORREKT. Back to the roots! Entsinnt euch einer Moral… habt Geduld… als Mensch, als Autofahrer… nur DAS kann Zukunft haben! Es muss etwas passieren! Genialer Nebeneffekt: die Gefahr, dabei in die Punkte zu fahren oder ein „Knöllchen“ zu riskieren ist damit nahe Null.

Denkt an diese Worte eines Fahrlehrers… und ich sehe mich da wirklich NICHT als Oberlehrer.

... nur täglich im Krieg und dennoch geduldig!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen