Sonntag, 21. November 2010

Geschichte eines Bullitypen - Teil 3

Alles ist anders – alles wird anders! Bitteres Ende einer Ära


 
1992: Wir sind im „Internationalen Jahr des Weltraums“ in dem Bill Clinton zum 42. Präsidenten der USA gewählt wird, das Großraumflugzeug Airbus A330 zu seinem Erstflug startet und der „Franz-Josef-Strauß-Flughafen München“ im Erdinger Moos in Betrieb genommen wird. 
In Palermo stirbt der italienische Richter Paolo Borsellino, ein engagierter Kämpfer gegen die Mafia, bei der Explosion einer Autobombe. In Hamburg wird die Hip-Hop-Gruppe „Fettes Brot“ gegründet. Im Londoner Wembley-Stadion findet das „Freddie Mercury Tribute Concert for Aids Awareness“ statt. 
Der veröffentlichte Bildband „SEX“ der Künstlerin Madonna löst einen beabsichtigten Skandal aus, was die Verkaufszahlen antreibt. Marlene Dietrich, deutsch-US-amerikanische Schauspielerin und Sängerin stirbt am 6. Mai, auch vom deutschen Politiker und ehemaligen Bundespräsidenten Karl Carstens nehmen wir am 30. Mai Abschied. Am 8. Oktober nimmt auch Alt-Bundeskanzler Willy Brandt seinen Hut, für immer.
Der VW Golf III ist Auto des Jahres. Die italienische Automarke Alfa Romeo stellt ihre neue Modellreihe Typ 155, eine viertürige Mittelklasse-Limousine mit quer eingebauten Vierzylinder- Frontmotoren mit 129 PS und 144 PS – außerdem einer „fette“ Sechszylinder-Variante mit 165 PS vor.
Der Scirocco von VW beendet nach über 290.000, beim Osnabrücker Autobauer Karmann hergestellten, Exemplaren seine „Laufbahn“ – seit 2008 ist die dritte Generation des legendären Scirocco wieder auf der Straße zu sehen! Im Autojahr 1992 gibt es immer mehr Verkehrsunfälle, in denen Alkohol eine Rolle spielt. Trotzdem werden die Grenzwerte auch in den neuen Bundesländern (Ausnahme: Brandenburg) von 0,0 auf 0,8 angehoben. Kraftstoffpreise: Normal 68,7, Super 76,7 und Diesel 54,2… PFENNIGE!!!… umgerechnet also zwischen 38,3 (Super) und 27,1 (Diesel) EUROCENT… das waren noch Zeiten!

Um meinem Leben (ich bin mittlerweile dreißig Jahre) endlich mal ein stabiles Standing angedeihen zu lassen, absolviere ich eine Ausbildung zum Industriekaufmann.

Die selbstständige Tätigkeit als Discjockey wirft allerdings nebenbei so viel ab, dass ich mir einen lang ersehnten Wunsch erfüllen kann. Ich möchte wenigstens ein Mal im Leben ein Auto ab Werk bestellen.

Es ist KEIN Scherz, als wir ausgerechnet am 1. April zur Abholung unseres Autos ins VW-Transporterwerk nach Hannover bestellt werden.
Caravelle-Vorstellung: der nette VW-Mitarbeiter gab sich alle Mühe

In der hell ausgeleuchteten Abholhalle erklärt uns ein netter VW-Mitarbeiter das bordeaux-perleffekt-farbene Auto und überprüft zum letzten Mal alle möglichen Funktionen. Dann rollen wir auf den Hof und genießen die ersten Meter im jungen Leben unseres neuen Luxusliners.

Dieser Caravelle GL ist wirklich das Optimum für einen versierten Bus-Freak wie mich… und doch ist vieles nicht nur neu, sondern vor Allem auch anders.
 
So wechselt bei diesem VW-Transporter-Modell bekanntlich der Motor vom Heck in den Bug. Hinten hat er gefühlte tausend Jahre gelärmt. Gelärmt auch deswegen, weil er die meiste Zeit durch Luft gekühlt wurde, die aber leider natürlich nicht schalldämmend wirkte.

Unser neues Fahrzeug wird hingegen durch einen – selbstverständlich – wassergekühlten Reihenfünfzylinder angetrieben. Ein weiterer wichtiger Grund für die Entscheidung zum Kauf eines neuen Busses ist der Verbrauch des Alten
Genehmigte sich der luftgekühlte 1600er Boxer im Vorgänger noch bis zu 14 Liter Normalbenzin auf 100 Kilometer, versprechen die Prospekte für den 2,4 Liter Saugdiesel um die 7 Liter, ehedem günstigeren, Dieselkraftstoffs. Betrug die Höchstgeschwindigkeit beim T3 lediglich 110 km/h, so sollen mit dem T4 fast 150 km/h möglich sein.

1992 das höchste der Transporter-Gefühle: der Caravelle GL

Unterwegs im Namen des 1. internationalen K 70 Clubs

Doch was sind Zahlen gegen optische, olfaktorische oder haptische Wahrnehmungen? Im Falle des neuen T4 hat sich Volkswagen in den letzten Jahren um Einiges weiterentwickelt. Als man nämlich erkennt, dass insbesondere in absatzschwachen Zeiten das Nutzfahrzeugwerk in der niedersächsischen Landeshauptstadt die Konzernbilanz verlässlich über Wasser hält, gibt man sich dort besondere Mühe, die Qualität zu steigern und dadurch Kunden zu gewinnen.

Deshalb ist unserem Caravelle kaum mehr anzusehen und anzufühlen, dass er ursprünglich mal als Nutzfahrzeug konzipiert war.

Alles an unserem T4 ist pkw-like und er fährt sich auch so. Armlehnen links und rechts, grauer Velourteppich, gedämpfte Geräusche, handzahme Oberflächen, bequeme Sitze, reichlich Beinfreiheit und eine super Sicht auf allen sieben Plätzen – in einem teuren PKW ist es kaum anders.

... als ich noch keinen K 70 besaß, war der rote Bus immer
als "Fremdfahrzeug" bei K 70 Club-Treffen dabei

Nur die bestellte Klimaanlage ist vom Werk noch nicht freigegeben. Ich lasse sie in einer Bremer Fachwerkstatt für 4.500,- DM nachrüsten. Ebenso baue ich noch zwei Sonnendächer ein und stelle den Bus auf schicke „King“-Alufelgen. Eigentlich hatten wir damals mit dem Transporter-Sondermodell “California” von Ausstatter Westfalia geliebäugelt. Mir gefiel daran nur dieses riesige Kunststoffklappdach und die ständig onboard befindliche Schrankeinrichtung überhaupt nicht. So etwas sollte optional ausstattbar sein und so baue ich es selbst.
Zu Urlaubszeiten müssen die hintere Sitzreihe zu Hause bleiben und werden durch Staukisten und eine Küchenzeile ersetzt. Darin finden eine zweite Batterie, ein Frischwasserkanister, sowie ein Waschbecken und jede Menge Essensvorräte Platz.


Für das Kunststoffklappdach finde ich einen sehr viel aufwändigeren Ersatz. Angeregt durch die gerade aufgekommene Mode der „Jetbags“, diesen aerodynamischen Zusatzkofferräumen für den Dachgepäckträger, entwickele ich eine vom Innenraum durch das hintere, dazu natürlich ausgebaute, Sonnendach zugängliche wasserdichte Klapp-Wohn-Box aus Aluminium. Die mir unangenehmen Westfalia-Seiten in Zeltstoff bestehen bei meiner Erfindung aus steckbaren Aluseitenteilen mit Schiebescheiben.
Das Ganze lässt sich von innen aufklappen und beziehen. So entsteht eine gemütliche Liegefläche von 1,20 x 2,00m – unsere „Kinderzimmer-Mansarde“. Es stellt sich sogar heraus, dass diese Konstruktion sich nicht mal negativ auf den Verbrauch des Fahrzeugs auswirkt.

Zur Demontage fahre ich übrigens einfach unter den Carport , löse die Dachträger vom Bus und hieve den gesamten „Wohn-Koffer“ mit einem Flaschenzug auf den Spitzboden meiner Garage.
Mit dem Caravelle in Tirol -
sogar ohne Schneeketten absolut wintertauglich

Drei Wochen, nachdem wir den Wagen vom Werk abgeholt haben, erblickt mein Sohn Lukas das Licht dieser Welt. 

So erleben wir Vier mit dem Caravelle GL in der von mir familientauglich gemachten Version sehr besondere, vor allem günstige Urlaube.

Ob auf einem Campingplatz am Gardasee, oder an den Stränden Siziliens, auch bei K 70-Treffen in Ostfriesland, Schleswig-Holstein und Dänemark dient er uns als kostengünstige Herberge.
Trio für einen Caravelle: Vater, Sohn und Tochter

Im Alltagsbetrieb zieht er stets klaglos meinen Anhänger mit dem DJ-Equipment. 

Für unglaublich viele Menschen wird der weinrote T4 und ich eine unzertrennliche Einheit. „Du bist doch der mit dem roten Bus?“ war eine häufige Assoziation.


Doch eines Tages, mein Bus feiert seinen mittlerweile zwölften Geburtstag, zerreißt abrupt das innige Band der Harmonie. Daran trägt jedoch am allerwenigsten das an sich ja seelen- und willenlose Auto Schuld.
Der Caravelle war einige Male mit uns auf Sizilien

Durch einen absoluten Zufall erfahre ich nämlich, dass mein bordeauxfarbener Bus von der seit siebzehn Jahren mit mir verehelichten Mitbesitzerin quasi als “Love-Mobil” mißbraucht wird. 

Diese unglaublich bittere Erkenntnis zieht natürlich auch die lebensverändernde Konsequenz nach sich, dass sich unsere Wege trennen. Im Zuge der üblichen Gütertrennung verzichte ich trotzdem schweren Herzens auf das mobile Liebesnest. 

Aus finanziellen Gründen muss das Fahrzeug schließlich ein halbes Jahr später veräußert werden. Angeblich hat es im Nahen Osten, genauer im Libanon, eine hoffentlich friedvolle Heimat gefunden – ich gedenke seiner auch heute noch mit Tränen in den Augen.

Mit diesem traurigen Finale geht auch meine Ära als Bullityp zu Ende.
... wir Drei fahren irgendwo hin...

Etwa zur gleichen Zeit bringt Volkswagen die neue Transporter-Generation auf den Markt und natürlich fuhr ich einen dieser neuen Transporter zur Probe. Dabei sind sicherlich viele positive Veränderungen zu erkennen, doch ich bin der Meinung, dass der Hersteller stellenweise über das Ziel hinausgeschossen ist. Der T5 ist breiter, länger, höher, zudem auch schwerer und durstiger als sein Vorgänger. Sicherlich ist er ein Monument. Auch ist er im Vergleich zur Konkurrenz das Maß aller Dinge, doch inzwischen ist der Anschaffungspreis für dieses Gefährt einfach nur noch galaktisch abgehoben.
Ich habe den Traum vom Bus begraben… mein Leben hat sich geändert… ich bin kein Bullityp mehr.

Mit dem Caravelle in der sizilianischen Baumschule -
seitdem haben wir einen Zitronenbaum zuhause












Aktualisierung März 2014: Geschichte eines Bullitypen - Teil 4

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