Vorab: es geht wieder mit großen Schritten in die dunkle Jahreszeit, Zeit für meine philosophischen Gedanken.
FRÜHER, FRÜHER...
... früher war ich nett und höflich, heute bin ich ehrlich!
Ich persönlich denke bei "früher" in einer ganz eigenen Dimension.
Dabei vergesse oder verdränge ich gern, dass ich ja mittlerweile auch von "früher" bin. Der immer schnelllebigere Alltag mit seinen unzähligen innovativen Erfindungen und Entwicklungen sorgt automatisch dafür, dass ganz normale frühere Details des täglichen Lebens in Vergessenheit geraten.
Bildliches Beispiel dafür?
Ähnliches prophezeie ich meinen Fahrschülern hinsichtlich eines Blicks in die Zukunft: sie erlernen zwar bei mir noch das Fahren mit einem Schaltwagen. Doch für ihre Kinder werden sie damit irgendwann zu Autofahr-Dinosauriern, denn auf Autos mit Schaltung wird schon in naher Zukunft nicht mehr ausgebildet - das Schaltgetriebe zählt bereits jetzt schon zum alten Eisen. Viele aktuelle Automodelle sind käuflich schon nicht mehr mit einem Schaltgetriebe zu erhalten.
Und so durchlebt man in seinem Leben technische Entwicklungen, die eine zeitlang als der "absolut heißeste Scheiss" gelten, aber irgendwann still und heimlich in der Versenkung verschwinden oder von einer wieder neuen Erfindung ersetzt werden. Mir scheinen diese Entwicklungszyklen immer kürzer zu werden. Dementsprechend finden Innovationen aber leider kaum noch die eigentlich nötige Beachtung.
Auch bei seiner persönlichen Entwicklung nimmt man den durchlaufenen Fortschritt nicht so intensiv wahr.
Durch die täglichen Routinen des Alltags werden Lebenslaufänderungen kaum spürbar. Erst im Rückblick werden Kursänderungen erkennbar.
Durchaus vergleichbar mit der Fahrt eines Schiffs - in Fahrtrichtung über den Bug betrachtet geht es "lediglich" nach vorn, steht man jedoch am Heck und schaut nach achtern, erkennt man deutlich am Kielwasser, dass der Kapitän auch Kurskorrekturen vornehmen musste und die Verwirbelungen des Schiffsantriebs nicht unbedingt ausschließlich eine gerade Linie beschreiben.
Dabei ist natürlich der Standpunkt des Betrachters entscheidend. Man selbst blickt auf dem Schiff zur Richtungsorientierung nach vorn oder hinten. Steht man stattdessen jedoch irgendwo entfernt auf einer Insel oder einem Berg und beobachtet von dort das Schiff auf dem Meer, erkennt man dessen Geschwindigkeit erst bei mehreren Blicken in größeren Zeitabständen.
Diesen Vergleich nutze ich für den Blick in die eigene Vergangenheit. Meine persönlichen Lebenseindrücke habe natürlich nur ich selbst erleben können (ich stand also AUF dem Schiff). Aus der Entfernung betrachtet (Beobachtung aus der Ferne) fällt meine Bewegung durch die Zeit deutlicher ins Auge. Da inzwischen über sechs Jahrzehnte vom Start bis heute vergangen sind, unterstützen Fotos aus alten Zeiten die Erinnerungen.
Meine eigenen Lebenseindrücke müssen sich jedoch nicht zwingend mit den Beobachtungen eines Außenstehenden decken. Was direkt auf meinem Schiff vorging, konnte der Betrachter in der Ferne gar nicht wissen - oftmals nicht mal ahnen. Dieser Betrachter weiß bis heute nichts von Vorgängen, Beweggründen, Geschehnissen, Entscheidungen, Schicksalen und Glücksfällen um mich herum.
Eigentlich muss ich nicht unbedingt erwähnen, dass auch mein (Lebens)Schiff in einige nicht zu knappe, heftige Stürme geraten war. Nach meinen heutigen Erkenntnissen war ich sogar oftmals aufgrund falsch eingeschlagener Kurse oder katastrophaler Kurskorrekturen selbst für das eine oder andere Fast-Untergangs-Szenario verantwortlich.
Metaphorisch betrachtet, habe ich oftmals dem Kapitän meines Schiffes brutal ins Steuerrad gegriffen. Skeptisch behaupte ich heute, in einer früheren Lebensphase von meinem Erziehungsberechtigten regelrecht dazu aufgefordert worden zu sein - man könnte das auch getrost als Meuterei bezeichnen.
Doch ich will die Schuld für den schlechten Kurs nicht in jedem Fall von mir weisen. Natürlich sind auch mir verhängnisvolle Fehler unterlaufen und in deren Folge seltsame Ziele angesteuert worden. Unvernunft, Blödheit, Ungeschicktheit, Unbeholfenheit, Neugier, Ahnungslosigkeit, Uninformiertheit oder Naivität u.v.m. sind mir diesbezüglich vorzuwerfen. Doch sie sind geschehen und haben meinen Weg bestimmt.
Wer ich jetzt bin ist wichtiger, als wer ich früher war.
Letztendlich bin ich der geworden, der ich heute bin. An meiner Vergangenheit kann ich nichts mehr ändern - will ich auch gar nicht! Sie gehört zu meiner Geschichte.
Eine Geschichte, die als Lebenslauf inzwischen auf kein DIN-A4-Blatt mehr passt. Denn sie umfasst weit über zwanzig Jahre schulische Bildungen, drei Jahre Studium, vier Berufsausbildungen, drei davon mit Abschluss und zahlreiche Arbeitsstellen.
Ich habe mich in all diesen Zeiten niemals unterkriegen lassen! Auch Misserfolge haben mich nicht zu Boden gerissen. Ausdauer und Geduld waren immer Grundpfeiler meiner Laufbahn.
Mein bisheriges Leben war niemals langweilig - was nicht heißt, dass ich - hätte ich eine zweite Chance - alles genauso wieder machen würde.
Fragt man mich, ob ich nochmal gern jünger wäre, antworte ich immer: "... körperlich gern, aber die Erfahrungen, die ich in meinem Leben bisher gemacht habe - egal ob positiv oder negativ - möchte ich niemals wieder hergeben oder nochmal machen müssen!"
Passend zu dieser Aussage ist auch meine Meinung zu Menschen, die ich in meinem Leben kennen gelernt habe.
Wichtig ist dabei, dass man aus der Vergangenheit lernt.
So gibt es einige Menschen, denen ich sehr gern nah und verbunden war und noch immer bin. Über das Ende anderer Beziehungen oder gar Partnerschaften bin ich sehr froh, in sie bin ich oftmals sehenden oder blinden Auges wie in eine Falle getreten. Im Nachhinein peinlich, teilweise sogar widerwärtig.
Das Internet unterstützt mich in dieser Aussage mit einem penetranten aber passenden Spruch:
Es gibt Menschen, für die ich in der Vergangenheit fast alles getan hätte. Heute würde ich nicht mal in deren Richtung kotzen!
Deshalb habe ich gelernt, mich lieber nur noch mit wenigen wahren, statt mit vielen, falschen Freunden zu umgeben.
Falsche Freunde kommen und gehen. Wahre Freunde bleiben eine Ewigkeit!
Zurück zur Seefahrt: mein Schiff ist sicherlich nicht mehr das schönste, neueste und schnellste. Doch inzwischen hat mir das Leben dieses Schiff übergeben.
Ich bin tatsächlich inzwischen selbst für die Zielsuche verantwortlich. Die Seerouten werden kaum noch impulsiv oder kurzfristig verändert. Und in stürmischen Zeiten... liegt das Schiff geschützt im Hafen.
Metaphorisch betrachtet ist es deutlich ruhiger um mich geworden. Das Meiste läuft in geregelten Bahnen. Durch viele gemachten Erfahrungen und Erlebnisse ist mein Leben etwas entspannter geworden. Die Euphorie der Jugend ist der Gelassenheit des Lebensherbstes gewichen.
Es hat sich im Laufe der Jahrzehnte gezeigt, welche Ziele sowohl erstrebenswert als auch erreichbar und welche Utopie sind. Im Rahmen dieser Ziele lässt es sich leben.